Wie CDU und CSU die Veröffentlichung ihrer Lobbykontakte verhindern wollten | abgeordnetenwatch.de
Am Ende war es dann doch nicht geheimzuhalten, wem CDU und CSU einen Zugang zum Deutschen Bundestag verschafft hatten: Den Rüstungskonzernen EADS, Northrop Grumman und Krauss-Maffei Wegmann, der PR- und Lobbyagentur EUTOP, Pharmaunternehmen wie Bayer, Merck oder Novartis, der Fracking- und der Autolobby, Banken, Versicherungen, großen Verlagshäusern. Insgesamt 757 Vertreter von Unternehmen, Verbänden und Organisationen erhielten seit der letzten Wahl einen Bundestagshausausweis über die Union – zum Vergleich: Alle anderen Fraktionen bewilligten zusammen gerade einmal 346 Zugangsscheine (die komplette Lobbyliste finden Sie am Ende dieses Textes).
Dass sich die Öffentlichkeit im November 2015 erstmals ein umfassendes Bild von den Lobbykontakten der Fraktionen machen konnte, war das Ergebnis einer erfolgreichen abgeordnetenwatch.de-Klage gegen den Deutschen Bundestag. Interne Unterlagen zeigen nun, wie CDU und CSU im Laufe der juristischen Auseinandersetzung versucht haben, die Herausgabe der Lobbyliste zu verhindern. Die Dokumente – mehrere hundert Seiten an Korrespondenzen, Aktenvermerken, Notizen und Vorlagen –, musste die Bundestagsverwaltung auf Antrag von abgeordnetenwatch.de nach dem Informationsfreiheitsgesetz herausgeben*.
Bundestag beauftragt externe Anwälte für 21.000 Euro
Die internen Aufzeichnungen beginnen im Januar 2015, kurz nachdem in der Bundestagsverwaltung die Klageschrift von abgeordnetenwatch.de eingegangen ist. Noch hält sich die Fraktionsführung von CDU und CSU bedeckt, sie vertraut wohl darauf, dass die Bundestagsjuristen die Herausgabe der Hausausweisliste verhindern werden. Doch in der Parlamentsverwaltung gibt es von Beginn an Zweifel an den Erfolgsaussichten vor Gericht. Ein Mitarbeiter des Referats ZR 2 (Justitiariat) notiert am 30. Januar für seinen obersten Chef, Bundestagsdirektor Horst Risse: „Ausgehend von bisherigen Erfahrungen, wird sich das VG [Verwaltungsgericht] Berlin der Argumentation des Deutschen Bundestages möglicherweise nicht anschließen.” Zudem hätten die Gerichte das Informationsfreiheitsgesetz „bislang regelmäßig sehr streng“ zu Ungunsten von Behörden ausgelegt.
Anfang Mai zieht die Bundestagsverwaltung deswegen die Kanzlei Redeker, Sellner, Dahs hinzu, deren Anwälte Experten im Abwehren von Auskunftsklagen wie der von abgeordnetenwatch.de sind. Der Bundestag hat sich schon mehrfach von der Kanzlei vertreten lassen, das Kanzleramt und einige Bundesministerien haben Redeker, Sellner, Dahs ebenfalls schon mandatiert.
Doch auch die hochspezialisierten Anwälte, für die die Bundestagsverwaltung im Laufe des Verfahrens über 21.000 Euro an Steuergeldern ausgeben wird, vermögen die Berliner Verwaltungsrichter nicht zu überzeugen. Diese urteilen am 18. Juni 2015: Der Deutsche Bundestag habe “rechtswidrig” gehandelt und abgeordnetenwatch.de “in seinen Rechten” verletzt, als er die Herausgabe der Lobbyistennamen verweigerte. Wir erhalten in allen Punkten recht.
… und noch ein herber Rückschlag vor Gericht
Noch ist das Urteil allerdings nicht rechtskräftig, eine Berufung wird zugelassen. Doch auch hier stehen die Chancen nicht allzu gut, wie ein Beamter des Justitiariats am 30. Juni notiert. Aus Sicht der Bundestagsverwaltung seien „die Erfolgsaussichten einer Berufung eher gering einzuschätzen“. Und auch in einer möglichen 3. Instanz vor dem Bundesverwaltungsgericht sei es „eher unwahrscheinlich“, dass die Richter die Auskunftsansprüche von abgeordnetenwatch.de verneinten.
Was die Hausjuristen des Bundestages derart pessimistisch stimmt: Nur eine Woche nach dem desaströsen Hausausweis-Urteil muss die Parlamentsverwaltung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einen weiteren juristischen Rückschlag hinnehmen. Die Obersten Richter zwingen den Bundestag, zwei Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes herauszugeben – ein Urteil, das auch für die abgeordnetenwatch.de-Klage zu den Hausausweisen richtungsweisend sein dürfte, wie die Bundestagsbeamten an verschiedenen Stellen festhalten.
Und so mag auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) nicht so recht an einen Erfolg vor Gericht glauben. Am Abend des 2. Juli mailt der Chef der Zentralabteilung Z, Friedhelm Dreyling, an zwei hohe Beamte: „Meine Herren, der Präsident hat im Ältestenrat seine Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines Rechtsmittels dargelegt.“
Die Frösche sollen gefragt werden, ob ihr Sumpf trockengelegt werden darf
Damit, so könnte man meinen, ist die Entscheidung endgültig gefallen: Der Bundestag verzichtet auf den Gang in die Berufung und gibt abgeordnetenwatch.de die Hausausweisliste heraus. Doch Lammert will die Politik mitentscheiden lassen, genauer gesagt diejenigen, die den Lobbyisten die Tür zum Bundestag geöffnet haben – die Fraktionen. Es sollen also die Frösche gefragt werden, ob ihr Sumpf trocken gelegt werden darf.
Es ist der Moment, in dem die Union auf den Plan tritt. Am 5. Juli lässt sich ein Mitarbeiter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion von der Parlamentsverwaltung deren Schriftsatz zur abgeordnetenwatch.de-Klage übermitteln. Dreieinhalb Wochen später, am 29. Juli 2015, geht laut Akte im Büro des Leiters der Unterabteilung ZR, Ministerialdirigent Werner Braun, ein Schreiben aus dem Fraktionsbüro der Union ein. „Seitens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion regen wir an, gegen das Urteil Berufung einzulegen“, teilt darin der Fraktionsdirektor mit. Man schickt auch gleich fünf konkrete Vorschläge mit, wie sich das Verwaltungsgerichtsurteil juristisch angreifen lässt.
Nun gibt auch die SPD ihre Blockadehaltung auf
Während die CDU/CSU-Fraktionsführung den Bundestagsjuristen weitere Argumentationshilfen für eine Berufungsbegründung anbietet, ist in den übrigen Fraktionen wenig bis gar kein Interesse an einer Fortsetzung des Rechtsstreits mit abgeordnetenwatch.de zu erkennen. Am 3. Juli vermerkt ein Beamter handschriftlich: „B90/Gr. haben bereits erklärt, dass dort kein Rechtsmittel gewünscht wird.“ Dass auch die Linksfraktion keinerlei Grund sieht, die Lobbyliste weiter unter Verschluss zu halten, verwundert nicht: Sie hatte schon im April 2014 auf Anfrage von abgeordnetenwatch.de mitgeteilt, welchen Organisationen sie einen Hausausweis bewillgt hat.
Bleibt die SPD. Bis dato hatten sich die Sozialdemokraten gegenüber abgeordnetenwatch.de immer beharrlich geweigert, die eigenen Lobbykontakte offenzulegen und dafür den Datenschutz vorgeschoben. Doch nun rücken auch sie von ihrer Blockadehaltung ab. In einem Fax, das am Morgen des 28. Juli beim Leiter der Unterabteilung ZR eingeht, erklärt die Fraktionsführung, „dass wir im konkreten Fall die gewünschten Informationen offenlegen können“ (was die SPD kurz darauf auch von sich aus tut). Allerdings plädiert die SPD dafür, zunächst fristwahrend Berufung einzulegen und dann in Ruhe mit der Bundestagsverwaltung und den Anwälten der Kanzlei Redeker, Sellner, Dahs die Erfolgsaussichten zu erörtern.
Erfolgsaussichten „unter 50 Prozent“
Zu diesem Treffen kommt es dann auch am Vormittag des 24. September. Anwesend sind: Vertreter der vier Fraktionen, Beamte der Bundestagsverwaltung sowie zwei Redeker-Anwälte. Was einer der beiden Juristen der versammelten Runde mitzuteilen hat, ist für CDU und CSU nicht sehr erbaulich. „Die Erfolgschancen für das Berufungsverfahren schätzte er mit unter 50 Prozent ein,“ notiert ein Beamter nach der Besprechung in einem internen Vermerk. Doch davon lässt sich die Fraktionsführung von CDU/CSU nicht beirren und beharrt als einzige auch weiterhin darauf, die Offenlegung der Lobbyliste vor Gericht zu verhindern.
Die Unions-Leute bieten nun auch den Anwälten von Redeker, Sellner, Dahs an, ihnen zuzuarbeiten. Zwischenzeitlich hat die CDU/CSU-Fraktionsführung auf eigene Faust juristische Schützenhilfe organisiert und ein Rechtsgutachten zur Hausausweis-Klage von abgeordnetenwatch.de in Auftrag gegeben. Das wenig überraschende Fazit des Verfassers (sein Name ist in den Unterlagen geschwärzt**): Selbst wenn die Berliner Verwaltungsrichter es anders sehen – der Bundestag ist nicht verpflichtet, die Hausausweisliste nach dem Informationsfreiheitsgesetz herauszugeben. Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, so der bestellte Gutachter, wisse “weder in der Begründung noch im Ergebnis zu überzeugen”.
Für CDU und CSU kommt alles noch viel schlimmer
Es ist Ende September, das politische Berlin hat nach der Sommerpause wieder Betrieb aufgenommen, und die Zeit drängt: In ein paar Tagen läuft eine wichtige Frist des Oberverwaltungsgerichts aus. Die Bundestagsverwaltung gibt der Kanzlei Redeker, Sellner, Dahs deswegen schon einmal grünes Licht für die Ausarbeitung einer Berufungsbegründung, dabei ist die endgültige Entscheidung über den Gang in die nächste Instanz noch gar nicht gefallen. Das letzte Wort hat, so will es Norbert Lammert, der Ältestenrat des Deutschen Bundestages, in dem Vertreter aller Fraktionen sitzen. Nach der entscheidenen Sitzung am 1. Oktober ist klar: CDU und CSU haben sich gegen alle Bedenken durchgesetzt. Die Bundestagsverwaltung wird in Berufung gehen, um die Herausgabe der Lobbyliste zu verhindern.
Doch kurz darauf sind alle juristischen Planspiele und politischen Abwägungen nur noch Makulatur – und für die Union kommt alles noch viel schlimmer. In einem Eilverfahren, das der Tagesspiegel angestrengt hat, verfügt das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg am 20. November 2015, dass der Deutsche Bundestag die Lobbyliste offenlegen muss. Und nicht nur das. Sogar die Namen der Politiker, die den Lobbyisten einen Hausausweis bewilligt haben, müssen genannt werden. Das ist der worst case für CDU und CSU und dieses Mal unabwendbar: Das Urteil ist rechtskräftig.
Am 9. Dezember beauftragt ein Mitarbeiter des Bundestagsjustitiariats die Kanzlei Redeker, Sellner, Dahs, die Berufung im Rechtsstreit mit abgeordnetenwatch.de beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zurückzunehmen. Einige Tage später erhalten wir Post vom Deutschen Bundestag. Es ist die Lobbyliste, die nach dem Willen von CDU und CSU unbedingt unter Verschluss bleiben sollte.
Als Konsequenz aus der abgeordnetenwatch.de-Klage beschließt der Ältestenrat kurz darauf eine Verschärfung der Zugangsregeln: Künftig dürfen Fraktionen keine Hausausweise mehr für Lobbyisten bewilligen.
* Für die Herausgabe der internen Dokumente hat uns die Bundestagsverwaltung 539,40 Euro in Rechnung gestellt (Verwaltungsgebühren und Kopierkosten). Unter Umständen kommen auf uns auch noch Gerichts- und Anwaltskosten hinzu. Denn weil die Bundestagsverwaltung monatelang keine Anstalten machte, uns die Unterlagen herauszugeben, mussten wir eine Untätigkeitsklage vor dem Berliner Verwaltungsgericht einreichen – erst dann wurde die Parlamentsverwaltung tätig. Das Verfahren läuft derzeit noch, über die Kostenfrage wurde noch nicht entschieden. Wenn Sie uns mit einer Spende unterstützen möchten, können Sie dies hier tun. Über den Fortgang dieser und anderer Recherchen halten wir Sie in unserem Newsletter auf dem Laufenden (hier in den Newsletterverteiler eintragen).
Nachtrag 28.11.2016: Die Bundestagsverwaltung hat sich wie von uns beantragt zur Übernahme der Verfahrenskosten bereit erklärt. Wir hatten bei Gericht eine Untätigkeitsklage eingereicht, da die Parlamentsverwaltung unseren Antrag auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes auf Herausgabe der Unterlagen mehr als ein Vierteljahr unbearbeitet gelassen hatte.
** Nachtrag 30.11.2016: Bei dem von der Unionsfraktion beauftragten Gutachter handelt es sich um Prof. Dr. Kyrill-Alexander Schwarz von der Universität Würzburg, wie die Bundestagsverwaltung auf unsere Presseanfrage hin mitgeteilt hat.
Hausausweisliste:
Diese Unternehmen, Verbände und Organisationen erhielten bis Anfang diesen Jahres die Fraktionen einen Hausausweis zum Bundestag. Dann wurden als Konsequenz aus der abgeordnetenwatch.de-Klage die Zugangsregeln verschärft.
Eine Antwort
Hello
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