Zu viele fachfremde Minister schaden der Politik

Zu viele fachfremde Minister schaden der Politik

Ohne abgeschlossenes Studium Ressortchef der Finanzen werden, ohne fachliche Qualifikation Verteidigungs- oder Justizministerin? In Deutschland liegt das im Trend. Die Entkoppelung von Kompetenz und Autorität lässt aber das Ansehen der Politik weiter erodieren.


Alexander Kissler, Berlin. In Thüringen wurde nun eine Sachbearbeiterin ohne juristisches Studium zur Justizministerin nominiert und ein Schauspieler zum Energieminister. Doreen Denstädt und Bernhard Stengele erhalten demnächst diese neuen Aufgaben, weil die thüringischen Grünen eine geringe Personaldecke, aber hohe identitätspolitische Ansprüche haben. Quote schlägt im Zweifel Qualität. So bizarr der Fall aus Deutschlands Mitte auch anmuten mag: Fachliche Qualifikation ist immer seltener die Eintrittsbedingung für Ministerämter. Wenn die Ausnahme aber zur Regel zu werden droht, nimmt der Bürger die Politik nicht mehr ernst.

Die derzeit prominenteste fachfremde Ressortchefin ist zwar eine erfahrene Juristin und Anwältin, hatte aber vor ihrer Ernennung zur Verteidigungsministerin kaum Berührungspunkte mit der Bundeswehr. Für Christine Lambrecht waren das denkbar schlechte Voraussetzungen, und es wurde in den letzten Monaten immer schlimmer. Kein Berliner Kabinettsmitglied ist unbeliebter, keines gilt als inkompetenter.

Politisches Handwerk überdeckt nicht jede Wissenslücke

Lambrechts absehbares Scheitern zeigt: Man kann sich nicht in jede Materie rasch einlesen, kann durch politisches Handwerk nicht jede Wissenslücke überdecken, nicht in jeder Lage auf den Apparat vertrauen. Wer in Friedenszeiten die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte innehat, sollte diese nicht nur vom Hörensagen kennen. Es braucht Gespür, Erfahrung und Expertise.

Die Lücke zwischen Autorität und Kompetenz fällt in diesem Amt besonders auf, zumal in geopolitisch bewegten Zeiten. Bereits Lambrechts ebenso fachfremde christlichdemokratische Vorgängerin, die Medizinerin Ursula von der Leyen, verliess das Bundesministerium der Verteidigung als Gescheiterte.

Seiner besonderen Verantwortung für Amt und Behörde kaum gerecht werden kann aber auch jemand, der zuständig wird für den Justizvollzug und die Juristenausbildung, ohne je ein juristisches Seminar besucht zu haben. Doreen Denstädt ist Sachbearbeiterin bei der thüringischen Polizeivertrauensstelle und Polizeihauptkommissarin.

Nun loben die Grünen die designierte Justizministerin für ihr «gelingendes Verwaltungshandeln», den «direkten Zugang zu den Menschen», das «hohe Bewusstsein für Strukturen» und das jahrelange Engagement gegen Rassismus. Denstädt sei «als schwarze Frau» ein «hervorragendes Zeichen» – ein Symbol also. Da das Justizministerium in Erfurt ein «Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz» ist, das Recht also nur an zweiter Stelle rangiert, hat diese Wortgirlande einen wahren Kern. Es soll offenbar mehr auf Moral- als auf Rechtspolitik ankommen.

Wenn Gesinnung wichtiger ist als Kompetenz

Die weltanschauliche Überformung der Justizministerien ist nicht auf Thüringen beschränkt. Wenn linke Parteien an der Regierung beteiligt sind, lassen sie sich das Ressort selten entgehen. Zu gross ist die Neigung, auf dem Rechtsweg den Umbau der Gesellschaft zu unterstützen. Im Bundesland Berlin leitet Lena Kreck, Mitglied der Partei Die Linke und im Besitz des ersten juristischen Staatsexamens, die Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung.

In Hamburg steht die grüne Senatorin Anna Gallina der Behörde für Justiz und Verbraucherschutz vor, wofür sie sich durch ein Studium der Politikwissenschaft, der Philosophie und auch des öffentlichen Rechts qualifizierte. In Sachsen wiederum gibt es ein Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung. Es wird geleitet von der grünen Politikerin Katja Meier. Sie studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Soziologie, nicht Jurisprudenz.

Einerseits mag es konsequent sein, die fachlichen Hürden für die Leitung von Ministerien zu senken, denen zahlreiche ideologische Neben- und Hauptzwecke aufgebürdet werden. Dann wird Gesinnung tatsächlich wichtiger als Kompetenz. Andererseits ist das Signal fatal und keineswegs «hervorragend»: Fachliche Expertise, heißt das, ist entbehrlich, sofern die Haltung stimmt. Auf diese Weise geben die Regierungen einen bemerkenswerten Kommentar zum allseits beklagten Fachkräftemangel ab.

Drei bedenkliche Tendenzen

Nicht nur in der Landesverteidigung und im Rechtswesen, sondern auch bei der Verwaltung der öffentlichen Gelder wäre ein fachliches Minimum bitter nötig. Wie sonst soll der Respekt in den Augen der Bürger und der Untergebenen wachsen? Wie will ein Amtsinhaber ohne eigene Spezialkenntnisse immun sein gegen die Einflüsterungen von interessierter Seite? Allein auf das Talent politisch zuverlässiger Quereinsteiger zu hoffen, ist eine riskante Wette.

Nach dieser Methode verfuhr man etwa in Schleswig-Holstein, wo für die Grünen eine Erzieherin als Finanzministerin wirkt. In Brandenburg blickt die sozialdemokratische Ministerin der Finanzen und für Europa auf eine Ausbildung zur Regierungsassistentin zurück. Der grüne Berliner Finanzsenator wiederum studierte zehn Jahre lang Geschichte und Kunstgeschichte, ohne einen Abschluss zu erreichen.

In keinem dieser und der zahlreichen anderen Fälle berechtigt die geringe berufliche Qualifikation zu einem moralischen Werturteil – und natürlich kann eine Wette aufgehen, kann der Fachfremde sich als Glücksfall entpuppen. Der Schauspieler Ronald Reagan wurde ein bedeutender Präsident der Vereinigten Staaten. Er hatte jedoch keine spezifische Ressortverantwortung.

Drei bedenkliche Tendenzen verdichten sich im Siegeszug der fachfremden Minister. Erstens demonstriert ein Aufstieg ohne entsprechende Qualifikation auf erschütternde Weise die Übermacht der Parteien. Sie entscheiden, wen sie nominieren. Für ein Ministeramt qualifiziert man sich nicht unbedingt durch ministrable Leistungen, wohl aber durch erfolgreich bestandene innerparteiliche Kämpfe. Nicht Qualität, sondern Durchhaltevermögen und Netzwerktauglichkeit werden prämiert.

Im egalitären Wunderland

Bei den Grünen kommt ein stupide durchgezogenes Paritätsdenken hinzu. Selbst wenn Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow Zweifel hätte an der Eignung von Denstädt und Stengele, müsste er sie am Kabinettstisch akzeptieren. So sieht es der Koalitionsvertrag vor.

Zweitens verbirgt sich hinter der rollierenden Zuständigkeit der Berufspolitiker ein destruktives Denken, die Überzeugung nämlich, jeder könne prinzipiell alles. Im egalitären Wunderland linker Parteien soll niemand sich vor den anderen auszeichnen. Sonst bekäme ein Menschenbild, das auf Respekt für schlichtweg jeden Lebenslauf beruht, Risse. Die Illusion kollabierte, alle Menschen seien gleich an Talenten, sie müssten nur in die richtige Struktur gebracht werden.

Drittens und vor allem drückt sich in der Inflation der Fachfremden eine enorme Geringschätzung des jeweiligen Fachs aus. Wer wirklich vom Fach ist, wird als «Fachidiot» gesehen, weil ihm angeblich fehlt, wofür die Unqualifizierten stehen sollen, das Denken in Zusammenhängen. An der Spitze einer Fachbehörde braucht es aber Fachkompetenz.

Niemand ließe eine Herz-OP von einem Bibliothekar vornehmen oder sich ein Haus vom Gärtner bauen. Am offenen Herzen der Republik aber, in den Ministerien, die die Sicherheit, die Rechte, die Gelder der Bürger treuhänderisch verwalten, soll jeder herumdoktern dürfen. Die Bundesrepublik muss viel Glück haben, sollte eine solche Leistungsverachtung sich nicht eines Tages bitter rächen.

Quelle: NZZ

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