Rotation des Erdkerns: Steht das Innere der Erde gerade still?

Rotation des Erdkerns: Steht das Innere der Erde gerade still?

Der Metallkern im Inneren der Erde scheint seine Drehung zu ändern. Vielleicht wackelt er auch und bleibt ein Rätsel, über das nur Erdbeben aufklären können.

Von Dr.Claudia Vallentin.

Die Frage, wie weit es von Berlin bis zum Mittelpunkt der Erde ist, war im deutschen Fernsehen schon einmal eine Million Euro wert. Knapp 6.400 Kilometer wären es bis zu diesem unwirtlichen Ort, an dem es so heiß ist wie auf der Sonne und an dem immenser Druck herrscht. Selbst die tiefste Bohrung in unsere Erde kam nur gut zwölf Kilometer weit. Der Kern ist schwer zu erforschen, deshalb ist er größtenteils ein Rätsel.

Um herauszufinden, wie groß er ist, woraus er besteht und wie er sich bewegt, werten Wissenschaftlerinnen seit vielen Jahren aus, wie sich seismische Wellen von Erdbeben oder Nuklearsprengungen durch den Planeten ausbreiten. Zwei chinesische Seismologen haben nun entdeckt, dass sich die Rotationsgeschwindigkeit des Erdkerns in einem Zyklus ändert und dass er zurzeit – relativ zur Erdoberfläche – sogar stillsteht. Was im Innern der Erde vor sich geht, verändert nicht nur das Magnetfeld, sondern auch die Länge eines Tages. 

Große Kräfte zerren an der Metallkugel im Erdinnern

Den inneren Kern der Erde kann man sich als feste Metallkugel aus Eisen und Nickel vorstellen, die sich in einer Suppe aus flüssigen Metallen um sich selbst dreht und die mit der Zeit immer ein wenig größer wird. Denn an ihrer Oberfläche setzt sich das Material aus dem äußeren Kern ab, das sich sukzessive verfestigt.

Die Bewegungen im flüssigen äußeren Kern – der Metallsuppe also – sind essenziell, denn sie erzeugen durch elektrische Ströme das Erdmagnetfeld, das den Menschen vor schädlicher kosmischer Strahlung schützt. Die Bewegungen könnten, so eine Theorie, den inneren Kern – die rotierende Metallkugel – beschleunigen und abbremsen. Aber nicht nur die Kräfte des äußeren Kerns zerren an der Kugel. Sie steht außerdem in einer Wechselwirkung mit dem mächtigen und meist festen Erdmantel, der sich vom Erdkern bis unter die Erdkruste erstreckt. Forschende glauben, dass die Gravitationskräfte des Erdmantels die Rotation des Erdkerns bremsen beziehungsweise ihn schwingen lassen – mal schneller und mal langsamer (Physics of the Earth and Planetary Interiors: Aurnou und Olson, 2000).

Yi Yang und Xiaodong Song von der Universität Peking sehen in der Auswertung der seismischen Daten nun ein mögliches Muster dieser Schwingungen (Nature Geoscience: Yang und Song, 2023). Ihre Messungen lassen vermuten, dass die Rotationsgeschwindigkeit des Kerns sich in einem Zyklus von 60 bis 70 Jahren beschleunigt und verlangsamt. Gemeint ist die Bewegung des Kerns in Relation zum Mantel und damit der gesamten Erde.

Die Forscher werteten die Druckwellen von Erdbeben aus, die auf einer Seite des Planeten starteten, durch den Erdkern liefen und an einer seismologischen Station auf der anderen Seite aufgezeichnet wurden. Aus den Archiven dieser Stationen suchten sie jene Erdbeben heraus, die zu verschiedenen Zeitpunkten, aber in der gleichen Region stattfanden – sogenannte Erdbebendubletten. Weil die Erdbebenwellen und ihr Weg durch den Erdkern sehr ähnlich waren, konnten die Forscher die Dauer dieser Wege vergleichen. Und genau hier fanden sie Unterschiede.

Steht das Innere der Erde gerade still?

Würde sich der innere Kern mit der immer gleichen Geschwindigkeit bewegen, dann müsste auch die Laufzeit von seismischen Wellen zu unterschiedlichen Zeitpunkten gleich sein. Das aber scheint nicht der Fall zu sein und so schlussfolgern die Wissenschaftler, dass der metallene Kern seine Rotation ändert und so die Erdbebenwellen unterschiedlich weiterleitet. Ihr Modell spricht für ein wiederkehrendes Muster, nach dem sich die Rotation etwa alle 70 Jahre ändert. Ihr Fazit: Ein erneuter Wechsel könnte nun wieder kurz bevorstehen.

Während ältere Daten auf eine gleichbleibende Drehung hinzuweisen schienen, deuten die neuesten Ergebnisse der beiden chinesischen Forscher an, dass der innere Erdkern seit etwa 2009 sich in der gleichen Geschwindigkeit wie die Erde bewegt – aus Sicht der Erdoberfläche könnte man meinen, er stehe still. Sie leiten daraus ab, dass sich seine Rotation weiter verlangsamen könnte. Würde man von der sich drehenden Erde nach unten sehen, wäre die Bewegung des Kerns umgedreht. Tatsächlich würde er sich einfach langsamer als die gesamte Erde drehen. Den letzten “Richtungswechsel” vermuten sie auf der Grundlage ihrer Messungen Anfang der Siebzigerjahre.

“Dieser Zyklus würde zu Beobachtungen im Erdmagnetfeld passen”, sagt Monika Korte vom GeoForschungsZentrum Potsdam. “Studien haben ähnliche Perioden in Veränderungen des Magnetfelds gefunden.” Um die Erkenntnisse der chinesischen Studie aber sicher zu bestätigen, bräuchten die Forschenden längere Messreihen.

Wackelt der Erdkern, verändert sich die Länge unserer Tage

Yang und Song gehen davon aus, dass der Erdkern gerade die gleiche Geschwindigkeit hat wie die Erdrotation. Allerdings ist ihr Modell nicht das Einzige, das erklären könnte, warum Erdbebenwellen manchmal ihre Wege ändern und dann länger oder kürzer sind. Wissenschaftlerinnen der University of Southern California werteten zuletzt seismische Wellen nach nuklearen Sprengungen aus und kamen zu dem Schluss, dass der Erdkern eher vor sich hin wackele und seine Rotation sogar alle sechs Jahre wechsele (Science Advances: Wang and Vidale, 2022). Dies würde auch dazu passen, dass sich die Länge der Tage mitunter ändere, schreiben sie in ihrer Studie. 

Die durchschnittliche Tageslänge nämlich ist abhängig von der Erdrotation: Bewegt sich die Erde als Ganzes schneller, werden die Tage kürzer; bewegt sie sich langsamer, werden sie länger. Schon länger ist bekannt, dass unsere Tage, gemessen über einen langen Zeitraum und im Mittel, nicht immer gleich lang sind, weil die Erde nicht gleichmäßig rotiert und manchmal länger für eine Umdrehung braucht. Schuld sind die Massenverlagerungen auf der Erde und in der Atmosphäre, die die Erdkugel leicht schlingern lassen. Dieses Phänomen kann aber nur einen Teil der Zeitdifferenz erklären. Deshalb vermuten Wissenschaftlerinnen, dass auch Veränderungen im Erdinnern einen Anteil an der ungleichmäßigen Bewegung haben.

Im System aus innerem Erdkern, flüssigem Außenkern und dem festen Mantel der Erdkruste hängen die elektromagnetischen und die Gravitationskräfte eng zusammen und wechselwirken miteinander, darin sind sich Wissenschaftlerinnen auf dem Gebiet einig. Die Geschwindigkeit des Erdkerns wirkt aber nicht direkt auf die Tageslänge, sondern die Prozesse im Gesamtsystem des Erdinnern, welche überhaupt zu den Rotationsänderungen führen. Das alles ändert an der Erdoberfläche kaum etwas, denn der Tag wird maximal eine Millisekunde länger oder kürzer.

Um sicher zu sein, wie sich die Metallkugel im Innern der Erde nun wirklich bewegt, müssen die Wissenschaftlerinnen jetzt vor allem eines: warten. Denn schon die nächsten Erdbeben könnten bestätigen, dass sich der Kern in die andere Richtung dreht.

Quelle: Die Zeit

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