Wenn Putin die Atombombe zündet …

Wenn Putin die Atombombe zündet …

Amerikanischer Atombomben-Test über dem Bikini-Atoll im Pazifik 1954. Hulton / Getty

Wenn Putin die Atombombe zündet, wird Amerika zurückschlagen

Putin droht mit der Atombombe, und Biden mahnt, die Gefahr einer nuklearen Auseinandersetzung sei seit dem Kalten Krieg nie so groß gewesen wie jetzt. Wie hoch ist das Risiko eines Atomkriegs? Und wie lässt es sich begrenzen?

Wer den Atomkrieg verhindern will, muss in der Lage sein, ihn zu führen. Nur wer über die notwendigen Mittel und den politischen Willen verfügt, kann dem Gegner glaubhaft machen, dass er im Extremfall zur Eskalation bereit ist. Das ist das Wesen der Abschreckung.

Wer aber will sich ausmalen, einen Atomkrieg führen zu müssen? Die Vorstellung ist so schrecklich, dass Naturen, die weniger skrupellos sind als Wladimir Putin, davor zurückschrecken. Der Westen insgesamt und besonders die Europäer haben seit dem Ende des Kalten Kriegs möglichst jeden Gedanken an das Unaussprechliche gemieden.

Zwar modernisieren die US-Streitkräfte ihre Arsenale fortlaufend, auch Briten und Franzosen tun dies mit Einschränkungen, aber die Diskussionen beschränken sich auf Spezialisten. Politiker und Bürger haben das Thema der atomaren Abschreckung weit von sich geschoben. An diesem Punkt setzt Putin an. Er lässt die westlichen Gesellschaften in den Abgrund ihrer Ängste blicken.

Militärisch gewinnt Putin durch den Einsatz von Nuklearwaffen wenig

Der russische Präsident beschwört die Bilder von Hiroshima und Nagasaki herauf, um die Nato-Staaten mürbe zu machen und ihre Bereitschaft zur Unterstützung der Ukraine zu schwächen. Würde er aber zum «Dr. Strangelove» des 21. Jahrhunderts, zur Hauptfigur aus Stanley Kubricks hellsichtiger Satire auf den Wahnsinn des Kalten Kriegs, schadete er sich selbst und seinem Land am meisten.

Nuklearwaffen sind politische Waffen. Sie sollen zunächst eine psychologische Wirkung entfalten, um den Gegner einzuschüchtern und ihm den eigenen Willen aufzuzwingen, ohne dass man sie verwenden muss. Sobald sie zum Einsatz kommen, verlieren sie einen großen Teil ihres Werts.

Dann nämlich beginnt sich die Eskalationsspirale zu drehen – mit unkalkulierbarem Ausgang. Wer gerade noch Herr des Verfahrens war, wird zum Getriebenen und Gefangenen seiner Entscheidung. Selbst Putin weiss dies. Indem er die Bombe zündet, verliert er mehr, als er gewinnen kann. Wenn er seine Drohungen in die Tat umsetzt, hat er zudem erstaunlich wenig Optionen.

Der Herrscher im Kreml kann, gleichsam zu Demonstrationszwecken, über dem Schwarzen Meer einen taktischen Sprengkopf zünden, also eine Waffe mit beschränkter Vernichtungskraft. Die militärische Wirkung wäre gleich null.

Oder Putin unternimmt einen Terrorangriff auf Kiew, verursacht ein neues Hiroshima und hofft, dass die Ukraine wie einst Japan kapituliert. Die Japaner allerdings waren nach vierzehn Jahren Krieg in China, in Südostasien und im Pazifik am Ende ihrer Kräfte. Die Bomben versetzten dem taumelnden Feind den letzten Stoss und waren dazu gedacht, die amerikanischen Verluste bei der Eroberung der japanischen Inseln zu begrenzen.

Die Ukraine hingegen erringt derzeit einen Sieg nach dem anderen. Die Moral der Truppen und der Bevölkerung ist ungebrochen. Ein Terrorangriff auf die Hauptstadt würde die militärischen Fähigkeiten der Ukraine beeinträchtigen, sie aber nicht kampfunfähig machen.

Realistisch betrachtet hat Putin nur eine Möglichkeit. Er müsste taktische Sprengköpfe an mehreren Stellen des Donbass zünden, um Löcher in die Front zu schlagen. Anschließend würden russische Panzerverbände in die Tiefe des gegnerischen Raums vorstoßen.

Dies entspräche dem Lehrbuch des begrenzten Atomkriegs, wie ihn die Nato und die Sowjetunion in den eiskalten Jahren der Blockkonfrontation geübt haben. Solche Operationen gehören heute noch zur Einsatzdoktrin der russischen Streitkräfte.

Die Sache hat allerdings einen Haken. Um in atomar verseuchtem Gelände vorzurücken, müssen die Einheiten kaltblütig agieren und gut ausgerüstet wie ausgebildet sein. Sonst trifft der Fallout den Angreifer nicht minder als den Angegriffenen.

Die russischen Truppen in der Ukraine sind jedoch demoralisiert und personell geschwächt. Ihre Logistik genügt nicht einmal den Anforderungen des konventionellen Kriegs. Auch 300 000 eilends aufs Schlachtfeld geworfene Reservisten ändern daran nichts, sie vergrößern das Chaos nur. Das als Befreiungsschlag gedachte Unternehmen würde unweigerlich im Desaster enden.

Wie rational handelt Putin, wenn er in die Enge getrieben wird?

Zudem setzt auch dieses in der Sprache der Militärs begrenzte, für alle Betroffenen indes furchtbare Szenario das Räderwerk der Eskalation in Bewegung. Der Einsatz von Atomwaffen wäre nach der Erfahrung von Hiroshima ein Zivilisationsbruch und eine Monstrosität von singulärem Ausmaß.

Die Supermacht USA könnte das nicht unbeantwortet lassen. Andernfalls würde sie Putin signalisieren, dass sie zu schwach oder zu ängstlich ist, um sich zur Wehr zu setzen. Der russische Zar hätte künftig freie Hand. Die Logik der Abschreckung ist ebenso einfach wie unerbittlich.

Amerika müsste zurückschlagen, nicht unbedingt atomar, aber mindestens mit der konventionellen Zerstörung russischer Stellungen auf ukrainischem Boden. Dies läge unter der nuklearen Schwelle und wäre kein Angriff auf russisches Territorium: Eine sorgfältig kalkulierte, aber dennoch unmissverständliche Antwort.

Ginge Putin dann noch weiter, hätte er sich endgültig in den «Dr. Strangelove» aus Kubricks Film verwandelt, in einen verrückten, keinen rationalen Erwägungen mehr zugänglichen Dämon des nuklearen Zeitalters. Genau das befürchten manche und argumentieren, der durch die Serie von Niederlagen in die Enge getriebene Putin sei längst unberechenbar.

Der russische Präsident wäre dann nicht mehr weit entfernt von Hitler im Berliner Führerbunker. Wenn dem aber so ist, wird ihn nichts zufriedenstellen, außer der totale Triumph. Da aber die Ukrainer alles daransetzen, dies zu verhindern, wird auch eine westliche Kapitulation den Krieg nicht beenden. Dass Putin inzwischen erste Friedensfühler auszustrecken scheint, spricht allerdings gegen das Führerbunker-Szenario.

Ohne Atomwaffen gibt es keine Sicherheit in Europa

Die Logik des Schreckens hat sich im Kalten Krieg bewährt und dabei auch brenzlige Momente überstanden, in denen die Welt am Rand der Vernichtung stand. Am Schluss wichen alle Seiten vor den Konsequenzen zurück. Eine glaubwürdige Abschreckung ist deshalb auch heute das beste Mittel, um den Einsatz von Atomwaffen zu unterbinden.

Präsident Biden hat deshalb vor einem «atomaren Armageddon» gewarnt und hinzugefügt, das Risiko einer nuklearen Konfrontation sei seit der Kubakrise noch nie so gross gewesen wie jetzt. Er markiert damit eine rote Linie.

Damit diese nicht als Lachnummer endet wie Barack Obamas nie durchgesetzte rote Linie gegen biologische Massenvernichtungswaffen in Syrien, müssen den Worten Taten folgen. Die Versorgung der Ukraine mit Rüstungsgütern ist hierfür zentral. Sie zeigt die Entschlossenheit, nicht klein beizugeben; dies unterstreicht wiederum den Willen, notfalls auch den nächsten folgenschweren Schritt zu gehen.

Wer Waffenlieferungen ablehnt und dies mit dem wachsenden Risiko eines Atomkriegs begründet, irrt. Das Gegenteil ist der Fall. Standfestigkeit in der konventionellen Sphäre ist der beste Schutz gegen eine atomare Eskalation.

Atomwaffen bleiben das Rückgrat der europäischen Sicherheit. Putin hat das schon vor Jahren erkannt. So stationierte Moskau Marschflugkörper, die sich mit nuklearen Sprengköpfen bestücken lassen, in Kaliningrad. Sie bedrohen von diesem vorgeschobenen Posten aus den Ostseeraum. Auch Donald Trump, der ja angeblich nie etwas richtig gemacht hat, erkannte dies. Nach Putins Schachzug in Kaliningrad kündigte er das für Europa wichtigste nukleare Abrüstungsabkommen. Er demonstrierte damit, dass auf jede offensive Aktion des Kreml eine amerikanische Reaktion folgt. Abschreckung beginnt nicht erst, wenn «Dr. Strangelove» gefährlich raunt, sondern lange vorher.

Wer dies nicht verstanden hat, sind wieder einmal viele Europäer und besonders die Deutschen. Die vier Merkel-Kabinette verweigerten den Kauf neuer Flugzeuge, die den deutschen Beitrag zur Nato-Abschreckung darstellen. Die Flugzeuge sollen im Krieg US-Bomben tragen.

Gegen diese «nukleare Teilhabe» sprachen sich in der Vergangenheit auch die drei Parteien der Ampelkoalition aus. Zudem liebäugeln sie im Koalitionsvertrag mit der Idee eines Verbots von Atomwaffen. Russland und Nordkorea hielten sich gewiss daran. Diesem Hirngespinst jagte auch das Schweizer Parlament nach, das sich in der Außenpolitik für das Wahre, Schöne und Gute in der Welt zuständig fühlt.

Europa ist seit Putins Angriffskrieg ein gefährlicher Ort. Damit er nicht noch gefährlicher wird, ist mehr Realismus erforderlich – auch im Umgang mit Atomwaffen.

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