Immobilienpreise sinken deutlich
Banken haben die Wohnimmobilienverkäufe der vergangenen Wochen ausgewertet und stellen fest: Die Preise bröckeln auf breiter Front. Vor allem in überhitzten Märkten wie München geben sie nach. Wer verkaufen muss, sollte sich beeilen: Ein Ende des Preisverfalls ist derzeit nicht in Sicht. Im Gegenteil.
Die Immobilienpreise in Deutschland kennen seit dem Sommer nur eine Richtung: Sie fallen in fast allen Regionen und über alle Immobilienarten hinweg. Der Grund dafür liegt an der Zinspolitik der Europäischen Zentralbank. Sie dreht an der Zinsschraube, weil ihr die Inflation völlig aus dem Ruder gelaufen ist. Sich Geld zu leihen, ist damit teurer geworden, die Bauzinsen haben sich seit Jahresbeginn etwa vervierfacht.
Das wirkt sich auf den Markt aus und lässt sich inzwischen auch genau analysieren. Denn seit einigen Tagen liegen nicht nur die Preise für Immobilienangebote vor, die in der Regel aus Online-Börsen zusammengetragen werden, sondern es gibt einen Überblick über das tatsächliche Marktgeschehen: Was konnte seit dem Sommer, als die Zinsen zu steigen begannen, zu welchem Preis verkauft werden?
Seit wenigen Tagen gibt es nun einen Überblick über echte Transaktionspreise, also nicht nur Angebotspreise aus den Immobilienportalen. Und diese zeigen: Die Preise sinken tatsächlich. Sichtbar wird dies etwa im Immobilienpreisindex des Verbandes der Pfandbriefbanken , der jetzt für das dritte Quartal dieses Jahres vorliegt. Dafür haben die wichtigsten Immobilienfinanzierer des Landes ihre Zahlen beigesteuert. Der Index umfasst Immobilien-Käufe und Verkäufe, die 700 Banken notiert haben.
Das Ergebnis: Erstmals seit 2010 ist der Index ins Minus gedreht. Von August bis Oktober haben sich Wohnungen und Häuser gemessen am Vorquartal um 0,7 Prozent verbilligt. Der mehr als zwölfjährige Aufwärtstrend bei Wohnimmobilien sei zu Ende, stellen die Studienautoren fest. Auch Büro- und Gewerbeimmobilien, deren Preise allerdings schon in der Coronakrise unter Druck geraten waren, sind nicht mehr so leicht an die Frau oder den Mann zu bekommen und sinken deswegen im Preis.
Selbst in begehrten Lagen purzeln die Preise
Das gilt auch für Top-Lagen. In den größten sieben Metropolen verbilligten sich laut vdp Wohnimmobilien auf gleichem Niveau wie der Gesamtmarkt um 0,7 Prozent. Während die Preise in Berlin gemessen am zweiten Quartal fast stabil blieben (minus 0,1 Prozent), fielen sie in den übrigen Großstädten, wo der Markt lange noch überhitzter war als in der Hauptstadt, zwischen 0,6 Prozent (Köln) und 1,5 Prozent (München).
Baufinanzierungsplattformen bestätigen den Trend nach unten. Roland Slabke, Chef des Finanzdienstleisters Hypoport , der einer der großen Anbieter von Finanzierungen für Wohnimmobilien ist, drückte es Anfang der Woche mit Blick auf die Zahlen drastisch aus: „Das ist ein historischer Absturz, so etwas habe ich in fast 30 Jahren am Markt nicht erlebt.“ Im dritten Quartal sei das Vermittlungsvolumen der Finanzierungstochter Dr. Klein um 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen.
Bei der Analyse der Statistiken sind zwei Punkte wichtig: Der Preisrückgang bezieht sich nur auf das Vorquartal, auf Jahressicht sind die Preise noch gestiegen. Makler, die von der guten Stimmung am Markt leben, nutzen deswegen derzeit die Jahressicht und erwähnen die viel genauere Quartalsberichterstattung darüber lieber nicht. So weist beispielsweise der Luxus-Immobilien-Makler Engel und Völkers nur darauf hin, dass die Preise stagnierten, aber gegenüber dem vergangenen Jahr eben noch deutlich zugelegt haben. Das räumt auch der Pfandbriefbankenverband ein. Gegenüber dem dritten Quartal 2021 verteuerten sich Wohnimmobilien noch um 6,1 Prozent. Für Immobilienkäufer ist auch das allerdings eine schlechte Nachricht. Denn es bedeutet: Während die Bauzinsen das Niveau von 2011 erreicht haben, liegen die Preise noch immer deutlich über dem Niveau von 2021.
Zweiter Punkt, der bei der Analyse wichtig ist: Die Preise sinken zwar, allerdings werden derzeit nur wenige Immobilien verkauft. Reiner Lux, Geschäftsführer von vdp Research, dem Forschungsinstitut des Verbands der Pfandbriefbanken, sagte dem Handelsblatt: „Wir rechnen mit 570.000 Transaktionen in diesem Jahr, in den Jahren zuvor waren es 700.000, wir sehen also einen Rückgang von 20 bis 30 Prozent.“ Offenbar ist das Erschrecken, dass die Rally bei den Immobilienpreisen zu Ende ist, groß und beabsichtigte Verkäufe werden verschoben in der Hoffnung, dass die alten Zeiten zurückkehren.
Die Prognosen für den Markt sind pessimistisch – ausnahmslos
Diese Hoffnung jedoch ist trügerisch. Die Prognosen jedenfalls zu dem, was auf dem Immobilienmarkt kommt, gehen weit auseinander. Optimistisch allerdings ist keiner. Die meisten rechnen mit einem moderaten Rückgang oder einer Seitwärtsbewegung, manche warnen vor einem starken Preiseinbruch.
Das Forschungsinstitut DIW gehört zur zweiten Spezies. Es hat gerade eine Studie veröffentlicht, wonach die Preise für Häuser und Wohnungen um bis zu zehn Prozent einbrechen könnten. Die DZ Bank ist nicht ganz so pessimistisch, hält aber einen Preisrückgang um immerhin bis zu 6 Prozent im kommenden Jahr für möglich. Die Bundesbank ist ebenfalls vorsichtig. „Neben den gestiegenen Kreditzinsen dürfte der Kaufkraftverlust privater Haushalte aufgrund der hohen Inflation die Nachfrage nach Wohneigentum abschwächen“, warnt sie in ihrem jüngsten Bericht.
Bislang allerdings seien die Auswirkungen begrenzt. „Hinweise auf einen starken Einbruch der Immobilienpreise und einen Abbau von Überbewertungen gibt es allerdings nicht“, sagt Bundesbank-Vizepräsidentin Claudia Buch. Die Inflation treffe einkommensschwache Haushalte stärker, das könnte ihre Leistungsfähigkeit als Kreditnehmer beeinträchtigen. Allerdings seien in Deutschland viele Häuser und Wohnungen langfristig finanziert, damit beträfen die steigenden Zinsen die Kreditnehmer erst mit Verzögerung.
Wer seinen Kredit vor 2014 aufgenommen habe, könne sich womöglich bei einer Ablösung sogar besserstellen, weil die Zinsen damals höher waren. Dagegen könnte der Zinsanstieg bei jüngeren Kreditjahrgängen, die vom Jahr 2019 an vergeben worden seien, die Belastung bei einer Ablösung des Kredits deutlich erhöhen. Allerdings werde dieses Risiko durch die langen Zinsbindungsfristen begrenzt.
So machten Wohnungsbaukredite mit einer Zinsbindung von mehr als fünf Jahren in den vergangenen Jahren mehr als 80 Prozent des Neukreditgeschäftes aus. Deshalb sei der Anteil der ganz günstigen Kredite unter denen, die im nächsten Jahr refinanziert werden müssten, relativ gering. Das werde sich ändern, wenn man in die Phase komme, in der ein größerer Teil der günstigen Kredite auslaufe.
„Viele, die kaufen wollten, mussten ihren Traum vom eigenen Haus beerdigen“
Deutlich pessimistischer beim Blick in die Zukunft ist Immobilienfinanzierer Interhyp. Dessen Vorstandsmitglied André Lichner prognostiziert, dass es in Metropolen wie München zu Preisnachlässen von bis zu 15 Prozent kommen wird, auf dem Land sogar von 20 bis 25 Prozent. Vorstandschef Jörg Utecht ergänzte gegenüber dem Handelsblatt: „Die Zahlen aus den ersten Wochen des vierten Quartals aus München, Hamburg und Berlin zeigen, dass weitere Korrekturen nach unten wahrscheinlich sind.“
Dass die Prognosen so unterschiedlich sind, hängt auch mit gegenläufigen Entwicklungen zusammen. Die Bundesgeschäftsführerin des Immobilienverbands Deutschland Carolin Hegenbarth erklärt das so: „Diejenigen, die Eigenkapital haben, wollen es mehr denn je in einer inflationssicheren Immobilie anlegen. Diejenigen, die nur über wenig Eigenkapital verfügen, werden durch die steigenden Zinsen ausgebremst, weil sie bei gleicher monatlicher Belastung deutlich ‚weniger Haus‘ bekommen als noch vor einem halben Jahr.“ Sie beobachtet, dass sich deswegen der Druck auf dem Mietwohnungsmarkt erhöht. „Viele, die vor Kurzem noch kaufen wollten, mussten ihren Traum vom eigenen Haus oder der eigenen Wohnung beerdigen.“ Sie kehrten auf den Mietmarkt zurück, was die Preise dort antreibe.