Aus der Vergangenheit lernen: Entartete Kunst und Bücherverbrennung

Aus der Vergangenheit lernen: Entartete Kunst und Bücherverbrennung

Rauchende weiße Männer: Ein Gemälde aus den 1970ern sorgt an der Universität Leiden für Streit.

Im Jahre 2022 geschehen Dinge, die stark an vergangene Zeiten erinnern. Im Rahmen von Ideologien werden Kunst und Kultur zum Thema von ideologisch geprägten Minderheiten, die gerne wieder Kunst, die nicht in ihre Gedankenwelt passt, aus der Öffentlichkeit verbannen würden.
Das Gleiche gilt für Bücher, deren Inhalt nicht dem Gedankengut gewisser Kreise entsprechen und von diesen Kreisen am liebsten auch wieder verbrannt werden würden.
Diesen Kreisen können wir nur empfehlen, aus der Vergangenheit zu lernen und sich dem demokratischen Mehrheitsprinzip unterzuordnen.

Nelly Keusch. Weil es das Patriarchat und das Rauchen verkläre, ließen Professoren an der Universität Leiden ein umstrittenes Gemälde kurzerhand abhängen. Ein Ausschuss soll nun überlegen, wie es weitergeht.

Es ist eine Szene, die die Älteren an lange zurückliegende Zeiten erinnert, den Jüngeren hingegen vorkommt wie ein Ausschnitt aus einem 1970er-Jahre-Film: Sechs Männer mit zurückgehendem Haaransatz sitzen an einem Besprechungstisch und rauchen Zigarren. Sie tragen Anzug und Krawatte, ihre Gesichter zeugen von Ernst. Worüber sie sprechen, ist nicht ersichtlich. Dennoch sorgt genau diese Szene an der niederländischen Universität Leiden schon seit Wochen für erhitzte Gemüter.

Festgehalten hat sie der Maler Rein Dool im Jahr 1976. Das Bild, das in einem Besprechungszimmer hängt, zeigt die damalige Universitätsleitung bei der Arbeit. Nichts Ungewöhnliches also – einige Professoren und Studenten störten sich trotzdem daran. Denn das Gemälde beschönige das Rauchen und das Patriarchat.

Professoren hängen das Bild kurzerhand ab

Im November fragte eine Politik-Doktorandin auf Twitter, ob man nicht wenigstens eine «ironische oder selbstkritische» Erklärung beifügen könne. Die Dekanin der juristischen Fakultät forderte daraufhin, das Gemälde zu entfernen. Sie habe lange genug mit Männern und Bildern von Männern in Räumen gesessen: «Und den Rauch hasse ich auch.» Zwei Tage später konnte sie Vollzug melden, Kollegen ließen das Bild kurzerhand abhängen und umgedreht an die Wand stellen.

Eine überhastete Aktion, die prompt Kritik hervorrief. Mehrere Leidener Professoren distanzierten sich von ihren Kollegen. «Meiner Ansicht nach gehört das in die Kategorie: Gut gemeint, aber nicht durchdacht», sagte eine Dozentin im Fernsehen. In der Diskussion werde gar nicht berücksichtigt, dass es auch ein satirisches Bild sei. «Und es gibt bessere Möglichkeiten, um zu zeigen, dass man divers und inklusiv sein will.» Der ehemalige niederländische Außenminister und Leiden-Professor Uri Rosenthal sprach von einer «Schande» und beispielloser Dummheit vonseiten «sogenannter intellektueller Professoren».

Direktor hat die NS-Besatzung überlebt

Denn bei dem damaligen Rektor, der auch auf dem Bild zu sehen ist, handelt es sich um Dolf Cohen, einen Juden, der die NS-Besatzung in einem Versteck überlebt hatte. Seine Söhne, unter ihnen der ehemalige Chef der niederländischen Sozialdemokraten Job Cohen, boten der Universitätsleitung in einem offenen Brief an, den Kontext des Bildes zu erklären.

Die Uni, die das Bild zunächst für «nicht mehr relevant» erklärt hatte, ruderte bald darauf zurück und sagte, es habe sich um eine nicht abgesprochene Aktion gehandelt. Das Gemälde wurde wieder an seinen ursprünglichen Platz gehängt. Doch erledigt hat sich die Sache damit keinesfalls: Die Universitätspräsidentin Annetje Ottow kündigte an, man werde eine Debatte über das Kunstwerk führen, und setzte eigens dafür eine Kommission ein, die Anfang Dezember die Arbeit aufnahm.

Ein Ausschuss sucht nach Lösungen

Diese soll nun überlegen, wie es weitergeht – auch in Bezug auf andere Kunstwerke an der Universität. «Diese Diskussion gehört hierher, und wir an der Universität Leiden, einer Bastion der Freiheit, können sie führen wie kaum jemand sonst», so Ottow. «Die spontane Aktion regt uns zum Nachdenken an. Inklusion ist eine unserer wichtigsten Aufgaben.»

In der Diskussion, auf die das Gremium seine Entscheidung stützen werde, solle aber natürlich auch der «historische Wert des Gemäldes» berücksichtigt werden, genauso wie der Respekt vor den ehemaligen Verwaltungsmitgliedern. Diese seien «sehr geschätzte ehemalige Verwalter unserer Universität», und das Gemälde zeige einen einzigartigen, historischen Ausschnitt dieser Zeit. Man sei sehr stolz auf die Abgebildeten.

Der eingesetzte Ausschuss soll im ersten Quartal 2023 einen ersten Vorschlag zur Lösung des Konflikts machen. Ein Teil davon könne darin bestehen, dem Bild eine Erklär Tafel mit Kontext hinzuzufügen, so Ottow. Ein solcher Ansatz ist ein oft genutzter Kompromiss, um umstrittene Kunst nicht entfernen zu müssen.

Die Niederlande streiten über ihre Geschichte

Der Bilderstreit von Leiden fällt in eine Zeit, in der die Debatte um eine Cancel-Culture an Bildungseinrichtungen weltweit tobt. Auch in den Niederlanden sind die Gräben zwischen jenen, die unliebsame Kunst am liebsten verbannen wollen, und jenen, die eine Auslöschung der eigenen Geschichte befürchten, tief. Dazu trägt vor allem die eigene Kolonialgeschichte bei.

Der Künstler selbst, der inzwischen 90 Jahre alt ist, hält den Streit um sein Bild im Übrigen für «engstirnig». Er habe ein «Zeitbild» gemalt, damals hätten nun einmal Männer in solchen Gremien gesessen, und alle hätten geraucht, er selbst auch. «Ich hielt ihnen einen Spiegel vor.»

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