Hat der Bio-Boom Sri Lanka in die Krise gestürzt?

Hat der Bio-Boom Sri Lanka in die Krise gestürzt?

Vor gut einem Jahr unternahm Sri Lanka ein wahnsinniges Experiment: die Umstellung auf biologische Landwirtschaft über Nacht.

Wenn Anthonipillai Kulam über Kompost spricht, klingt es, als würde er ein Kuchenrezept herunterbeten. Zuerst Stroh aufschichten, dann Wasser drüber, dann Kuhmist, Wasserpflanzen, trockene Palmblätter, Ziegenmist, jede Schicht 20 Zentimeter hoch. Nach 28 Tagen umrühren. In der Sonne backen lassen, zwischendurch die Hand hineinstecken und prüfen, ob die Masse 70 Grad erreicht hat. 120 Tonnen Kompost hat der Bauer Kulam im vergangenen Jahr produziert, die Regierung habe ihn dazu ermutigt, die Produktion hochzufahren, sagt er.

Noch nie brauchte Sri Lanka so dringend Kompost wie im vergangenen Jahr.

Im April 2021 verbot die Regierung chemische Dünger und Pestizide, fast über Nacht wollte das Land auf biologische Landwirtschaft umstellen. Bauern mussten plötzlich mit Kompost düngen. 60 Tonnen hat die Regierung bei Kulam bestellt. Eigentlich ist Kulam Bauer, die Kompost-Manufaktur ist nur ein Nebenerwerb. Geliefert hat er, aus dem Dorf Ampilanthurai im Osten der Insel quer durchs Land nach Colombo. «Bezahlt haben sie mich nie», sagt er. Sri Lanka befindet sich in der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte, es fehlt an Treibstoff, an Nahrungsmitteln, an Strom. Das Land ist zahlungsunfähig. Die Bevölkerung protestierte monatelang, bis der Präsident Gotabaya Rajapaksa nach Singapur floh.

Das inspirierte den berüchtigten Moderator des amerikanischen Senders Fox News Tucker Carlson zu einem Beitrag über Sri Lanka: «Ganzes Land kollabiert wegen Green New Deal» lautete der Titel der Sendung. Westliche Linke hätten mit ihren Ideen Sri Lankas Wirtschaft zerstört, sagte Carlson und zeigte Bilder, wie Demonstranten in Colombo den Präsidentenpalast stürmen. Hat tatsächlich die Biolandwirtschaft Sri Lankas Krise verursacht?

Biolandbau führte zu einer Hungerkrise

Batticaloa ist ein Distrikt im Osten des Landes, hier liegt Kulams Hof, hier leben viele Bauern, die wie er Sri Lankas Grundnahrungsmittel anbauen: Reis. Niemand wurde vom Verbot von Pestiziden so sehr getroffen wie die Reisbauern. Die Reisernte in Sri Lanka ist im vergangenen Jahr um 14 Prozent eingebrochen. Doch auf den Reisfeldern Batticaloas sprechen sie nicht von abstrakten Prozenten, sie haben eine gewichtigere Masseinheit: Säcke.

T. Pulendrakumar ist ein Bauer aus Batticaloa, er sagt: «Mit chemischem Dünger ernte ich 75 Säcke Reis pro Hektare. Mit Kompost nur 55.» Ein Sack wiegt 66 Kilogramm, auf seinen 12 Hektaren hat Pulendrakumar über 15 Tonnen Reis verloren.

Das ist für Pulendrakumar ein Problem, für Sri Lanka allerdings ein Desaster. Denn 15 Tonnen Reis, das entspricht etwa dem jährlichen Reiskonsum von 150 Sri Lankern. In Sri Lanka offenbart sich der Widerspruch zwischen biologischer Landwirtschaft und Nahrungsmittelsicherheit: Zwar schont Bio die Natur, konventionelle Landwirtschaft allerdings maximiert den Ertrag – mit Bio allein lässt sich von heute auf morgen kein Land ernähren.

Weil zu wenig Reis auf der Insel geerntet wurde, musste importiert werden. Die Preise für Lebensmittel vervielfachten sich.
Weil zu wenig Reis auf der Insel geerntet wurde, musste importiert werden. Die Preise für Lebensmittel vervielfachten sich. Buddhika Weerasinghe / Bloomberg

Das hat auch die sri-lankische Regierung eingesehen. Das Verbot wurde Ende November 2021 aufgehoben, die katastrophalen Folgen lassen sich allerdings nicht mehr ungeschehen machen. Laut der Welternährungsorganisation leiden heute 4,9 Millionen Menschen in Sri Lanka Hunger, das ist ein Fünftel der Bevölkerung.

Verbot von Pestiziden schadet der Umwelt

Es ist nicht ganz einfach, den Zeitpunkt zu finden, wann Sri Lanka in die Krise stürzte. Die Insel hat seit Jahren ein Handelsbilanzdefizit, denn sie ist auf Importe angewiesen. Sri Lanka war schon lange verschuldet. 2019 wurde Gotabaya Rajapaksa Präsident, die Bevölkerung wählte damit jene korrupte Familie, die sie vier Jahre zuvor losgeworden war. Rajapaksa verteilte Steuergeschenke, bis die Steuereinnahmen mit zu den tiefsten der Welt schrumpften. Die Pandemie traf den wichtigen Tourismussektor. Die Devisenreserven schmolzen.

Der Staat musste also irgendwie sparen. Allein der Import von chemischen Düngern und Pestiziden kostete Sri Lanka jährlich 259 Millionen Dollar. Weil die Produkte für die Bauern zudem stark subventioniert waren, konnte die Regierung mit dem Verbot eine halbe Milliarde Dollar sparen. Und sich der Welt als grün und umweltfreundlich verkaufen.

«Das Verbot von chemischen Düngern war nicht der Ursprung der Krise», sagt Jeevika Weeraheva, sie ist Professorin für Landwirtschaftsökonomie an der Universität von Peradeniya, einer Kleinstadt im zentralen Bergland Sri Lankas. Allerdings hat das Verbot die Krise verstärkt: Die Nahrungsmittelpreise sind um bis zu 70 Prozent gestiegen, die wirtschaftlichen Schäden sind noch schwer zu beziffern. Sicher ist: Das Verbot hat auch der Teeindustrie geschadet, einem von Sri Lankas wichtigsten Exportzweigen, denn auch diese Ernte ging zurück. «Wir hätten mehr mit exportiertem Tee verdient, als wir mit dem Verbot von Pestiziden gespart haben», sagt Weeraheva.

Auch die Umwelt litt. Laut Weeraheva ist wegen des plötzlichen Verbots ein Schwarzmarkt für Dünger entstanden. Verzweifelte Bauern hätten geschmuggelte und ungeprüfte Waren aus Indien gekauft, es sei unklar, was diese für Umweltschäden hinterlassen hätten. Sri Lankas Regierung bestellte angeblich organischen Dünger aus China und schickte ein Schiff im letzten Moment zurück, nachdem das Landwirtschaftsministerium gemerkt hatte, dass dieser Dünger das Ökosystem der Insel wohl nachhaltig durcheinandergebracht hätte.

Ein Laden, der Dünger verkauft, ist fast leer geräumt – noch immer herrscht Mangel in Sri Lanka.
Ein Laden, der Dünger verkauft, ist fast leer geräumt – noch immer herrscht Mangel in Sri Lanka. Abhishek Chinnappa / Getty

«Das Verbot war schlecht in jeder Form. Der Staat wollte etwas für die Umwelt tun, aber es schadete mehr, als es nützte», sagt Weeraheva.

Ökolandbau auf Sri Lanka: eine gute Idee zur falschen Zeit

An einem Konferenztisch in der Provinzhauptstadt Batticaloa sitzt der höchste Beamte vor Ort, Kanapathipillai Karunaharan. Er hat seinen Zuständigen für Landwirtschaft eingeladen und dessen Assistentin. Wenn man ihnen zuhört, war das Verbot keine schlechte Idee, sogar eine gute. Einfach zur falschen Zeit.

Am Konferenztisch geht es schnell um die ganz grossen Probleme, Klimawandel, Treibhausgase, Naturkatastrophen. Karunaharan und seine Mitarbeiter sind sich einig, dass der Wechsel auf biologische Landwirtschaft zu abrupt erfolgte, «das wurde zu schnell eingeführt», sagt Karunaharan. Aber irgendwann wolle man die Transformation schaffen, zumindest schrittweise. Und den Bauern etwas mehr Zeit geben dafür. Bio soll helfen, die ganz grossen Probleme zu lösen, aber wie genau, bleibt unklar. Bio bleibt an diesem Tisch ein Schlagwort, irgendwie gut, irgendwie gesund.

Dabei ist die biologische Landwirtschaft klar geregelt. Es gibt Standards der International Federation of Organic Agriculture Movements. Sie betreffen den Dünger, die Pflanzenschutzmittel, die Züchtung, die Techniken, wie Land bewirtschaftet wird. Etwa 1,5 Prozent der weltweiten Anbaufläche werden nach diesen Standards bewirtschaftet. In der EU sollen es 25 Prozent sein bis 2030. Europa hat zuvor mehr als ein halbes Jahrhundert Erfahrungen gesammelt mit biologischer Landwirtschaft.

Sri Lanka hat fast keine Erfahrung mit Bio. Aber 2019 veröffentlichte die Regierung ein Dokument, die «Vision für Wohlstand und Pracht», es ist ein Zehnpunkteplan voller schwärmerischer Ideen und mit wenig konkreten Massnahmen. Eine Idee: die Einführung eines eigenen Bio-Labels. Karunaharan sagt: «Wenn wir Bio einführen, werden unsere Produkte im Westen attraktiv.»

Es gibt einen Markt für tropische biologische Produkte, es gibt auch schon Biobauern in Sri Lanka. Würden aber alle Bauern nur noch zertifizierte Bioprodukte produzieren, müsste Sri Lanka seine Lebensmittel fortan aus Bangladesh, Indien, Pakistan importieren – ausser einer wohlhabenden Elite könnte sich die heimischen Bioprodukte niemand leisten.

Teefelder in Nuwara Eliya im Zentrum Sri Lankas – auch die Teeproduktion wurde vom Verbot getroffen.
Teefelder in Nuwara Eliya im Zentrum Sri Lankas – auch die Teeproduktion wurde vom Verbot getroffen. Abhishek Chinnappa / Getty

Und doch hält sich die Idee, alles umzukrempeln, hartnäckig, nicht nur an Konferenztischen. Eine Umfrage des lokalen Think-Tanks Verité Research ergab, dass eine Mehrheit von Sri Lankas Bauern gerne hundertprozentig biologisch produzieren möchte. Vielleicht spüren Sri Lankas Bauern einfach, dass es nicht mehr so weitergeht wie bisher.

Chemischer Dünger hat Sri Lankas Grundwasser verunreinigt

In einem Dorf nahe der Stadt Batticaloa steht S. Gnnapragasam vor seinem Laden. Er verkauft Dünger und Pestizide, doch er ist beinahe ausverkauft. Das Verbot ist zwar aufgehoben, «aber es gibt zu wenig Nachschub, wir haben Säcke mit Urea bestellt, aber sie kommen nicht», sagt Gnnapragasam. Urea ist ein Stickstoffdünger, viel verwendet im Reisanbau. Dank den Subventionen kostete ein Sack Urea einst nur 5 Euro. Heute koste er bis zu 140 Euro. Gnnapragasam empfiehlt 375 Kilogramm Urea pro Hektare, so dünge er auch auf seinen Feldern.

Das Landwirtschaftsministerium in Sri Lanka errechnet jedes Jahr, wie viel Stickstoffdünger pro Hektare die Reisbauern in den jeweiligen Regionen verwenden sollen. Damit soll Überdüngung verhindert werden. Dieses Jahr empfiehlt das Ministerium für Batticaloa 175 Kilogramm pro Hektare. Gnnapragasam braucht 200 Kilogramm mehr.

Sri Lanka erlebte wie Indien in den 1960er Jahren die grüne Revolution, Hungerkatastrophen wurden dank hochintensiver Landwirtschaft zu einem Schrecken der Vergangenheit. Die Folgen davon zeigen sich heute. Eine sri-lankische Studie aus dem Jahr 2019 schreibt von besorgniserregenden Nitratwerten in Teilen des Grundwassers, zurückzuführen auf den hohen Gebrauch von Urea. Im Norden des Landes haben Wissenschafter eine Häufung von chronischen Nierenleiden festgestellt. Ob die Krankheit tatsächlich auf den exzessiven Gebrauch von Chemikalien in der Landwirtschaft zurückzuführen ist, darüber gibt es keinen wissenschaftlichen Konsens.

Der Verkäufer Gnnapragasam sagt: «Ich biete auch Kompost an. Doch die Leute kaufen das nicht.» Am Ende muss die Ernte eben so viel wie möglich abwerfen.

Bio auch ohne Zertifikat

«Die Idee, in einem Land 100 Prozent Bio per Dekret anzubauen, ist unsinnig», sagt Urs Niggli. Niggli ist einer der gefragtesten Bioforscher der Welt, er war Direktor des Schweizer Forschungsinstituts für biologischen Landbau, heute ist er Berater, er war schon in Indien und in China tätig. Jetzt erklärt er am Telefon, dass es den Gegensatz zwischen Bio und konventioneller Landwirtschaft, der Sri Lanka derzeit umtreibt, eigentlich nicht gibt: «Neben dem Biolandbau gibt es andere gute Methoden der Nachhaltigkeit. Man darf einfach nicht ideologisieren», sagt Niggli.

Urs Niggli, weltweit gefragter Bioforscher.
Urs Niggli, weltweit gefragter Bioforscher. Mafalda Rakoš

Niggli betrachtet Bio als Versuchslabor für die Landwirtschaft. «Zur Lösung von gewissen Umweltproblemen ist es interessant, den Biolandbau zu fördern», sagt er. Auch in Entwicklungsländern. Dort habe man mit einfachen Massnahmen die Erträge steigern können, Massnahmen, die aus dem Ökolandbau stammen: Organische Substanzen nicht verrotten lassen, sondern Kompost herstellen. Dass man Nützlinge gezielt fördert, um Schädlinge abzuhalten. Beispiele für gute landwirtschaftliche Praktiken, nennt das Niggli. Dafür brauche es kein Biozertifikat.

Niggli glaubt, dass konventionelle Bauern und Biobauern voneinander lernen sollten. Dass in Zukunft vermehrt traditionelles Wissen mit modernem kombiniert wird. «Die Polemik in Sri Lanka ist sehr produktiv», sagt Niggli. Am Ende kommt vielleicht heraus, dass es kein Entweder-oder geben muss.

Es gibt jetzt Bauern in Batticaloa, die Kompost mit Urea kombinieren. Die Erträge sind etwas tiefer, aber der Verlust verkraftbar. Es ist ein Kompromiss, der vor allem dem Umstand geschuldet ist, dass es derzeit nicht genug chemischen Dünger auf der Insel gibt. Aber es könnte auch ein Anfang sein.

Quelle: NZZ

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