„Die Rhetorik der Klima-Kleber ist übertrieben und wissenschaftlich fragwürdig“
Die Erderhitzung schreitet ungebremst voran – doch viele Menschen lässt die Bedrohung noch immer kühl.
Wie viel Angst macht Ihnen der Klimawandel, Herr Renn?
Ortwin Renn: Angst ist für mich kein adäquater Begriff, denn er wird oft mit Lähmung oder Verunsicherung verbunden. Aber ich bin natürlich sehr besorgt, was den Klimawandel betrifft und ich sehe auch, dass die Konsequenzen unserer bisherigen ungenügenden Klimapolitik immer kritischer für Mensch und Umwelt werden, je mehr Zeit wir verlieren und es versäumen, die notwendigen Maßnahmen vorzunehmen.
Gleichzeitig ist auch klar: Selbst wenn wir morgen mit allen CO2-Emissionen aufhören sollten, wird die Situation nicht besser, sondern es wird bestenfalls nicht schlechter. Schon mit den jetzigen Konzentrationen von CO2 und anderen Klimagasen in der Atmosphäre erleben wir ein Fülle von negativen Veränderungen, die Millionen von Menschen betreffen.
Trotzdem sehen sich viele immer noch erstaunlich gelassen die inzwischen tiefroten Klima-Diagramme an – während sie zum Beispiel der Angriffskrieg des russischen Präsidenten auf die Ukraine seit Monaten ängstigt und deutlich stärker emotionalisiert. Warum lässt uns die Klima-Thematik im Vergleich so kalt, obwohl sie doch mit so großer Sicherheit so negative Folgen für uns bedeutet?
Renn: Weil die Klimakrise immer noch weitgehend abstrakt ist. Erstens beziehen die Menschen in Deutschland den Klimawandel trotz des Ahrhochwassers 2021 und den Dürren in den letzten Sommern nur in geringem Maße auf sich selbst. Es ist zwar irgendwo schlimm, aber für die meisten bedeutet der bisherige Klimawandel keine Katastrophe. Die Kriegshandlungen in der Ukraine berühren das Leben in Deutschland zwar auch nur indirekt, aber sie können sich gut mit den betroffenen Menschen vor Ort identifizieren, zumal viele als Flüchtlinge inzwischen in Deutschland Zuflucht gefunden haben.
Ed Hawkins/University of Reading.
Die vermutlich berühmteste Darstellung der steigenden Temperaturen auf der Erde – von dem englischen Klimawissenschaftler Ed Hawkins
Ed Hawkins/University of Reading Die vermutlich berühmteste Darstellung der steigenden Temperaturen auf der Erde – von dem englischen Klimawissenschaftler Ed Hawkins
Wir werden von Ereignissen besonders berührt, wenn sie uns zeitlich und örtlich nah sind oder es sich zumindest so anfühlt. Und das ist bei den Ukrainern und Ukrainerinnen der Fall, denn der Krieg tobt direkt an der EU-Außengrenze. Das ist vermutlich auch der Unterschied zu anderen Kriegen, etwa in Jemen. Dieser blutige Krieg wird für uns als weit entfernt und als komplexes Machtspiel undurchschaubarer Mächte empfunden. Dort, wo gut und böse einfach getrennt werden kann, ist die Identifikation mit dem „Guten“ sehr viel wirksamer für die eigene Handlungsmotivation als in Situationen mit vielen Verursachern und schwer zu treffenden moralischen Bewertungen.
Was sind weitere Gründe, warum wir den Klimawandel als weniger beängstigend wahrnehmen?
Renn: Ein zweiter Punkt besteht darin, dass der Klimawandel eine kontinuierliche Verschlechterung mit sich bringt und viele Menschen diese als eine Langzeitaufgabe ansehen. Dadurch fällt der Klimawandel immer wieder von der Agenda, wenn es eine akute Krise gibt, die unmittelbares Handeln erfordert. Das sieht man auch in der Politik. „ Ich muss jetzt erstmal irgendwoher Gas besorgen, wo ich es eigentlich gar nicht herholen will, aber ich muss ja über den Winter kommen. Danach können wir uns wieder um den Klimawandel kümmern. “ Diese Einstellung, dass es immer etwas anderes gibt, das im Moment dringlicher erscheint, hat sich tief in das Klimabewusstsein der Bevölkerung eingegraben.
Der da wäre?
Renn: Menschen denken immer linear. Wir denken, die Dinge ändern sich sukzessiv und in gleichmäßigem Tempo. Aber exponentielles Wachstum geht anders. Das haben wir bei den Infektionszahlen während der Pandemie gesehen und auch beim Klimawandel ist die Vorstellung einer gleichmäßigen Verschlechterung von Jahr zu Jahr problematisch.
„Wir unterschätzen, was auf uns zukommt – die Rhetorik der Letzten Generation ist dennoch übertrieben“
Wenn wir sagen „ Okay, es wird zwar immer wärmer, der letzte Sommer war schon ziemlich trocken, und der davor auch, aber ganz so schlimm war es ja dann doch noch nicht“, dann liegt der Gedanke nahe, dass es im nächsten Jahr ähnlich schlimm werden wird, was aber für das eigene Leben noch wenig spürbar ist. Das suggeriert: Wir haben noch Zeit, bis wir wirklich die Konsequenzen hautnah erleben. Allerdings gibt es auch beim Klimawandel bestimmte Kipppunkte, die extreme Veränderungen in kürzester Zeit in Gang setzen, wenn sie einmal überschritten sind. Auch wenn man hört, dass der Meeresspiegel pro Jahr um drei Millimeter ansteigt, dann liegt der Schluss nahe: „ Ja, mein Gott, da haben wir ja schon noch reichlich Zeit…“ So ist es aber nicht.
Klingt in der Tat erstmal wenig dramatisch. Hat die häufig nüchterne Sprache der Wissenschaft in Ihren Augen auch einen Anteil an dieser Arglosigkeit?
Renn: Das glaube ich nicht. Es gibt inzwischen so viele gute Erklärer, so viele Filme, so viele Museen, die hervorragende Informationsangebote anbieten, dass wir mit noch mehr Aufklärung nicht mehr viel erreichen können. Man müsste meiner Meinung nach viel eher die Menschen über die eben angesprochenen Wahrnehmungsverzerrungen aufklären, etwa zur Illusion der Linearität. Erst wenn es uns gelingt, die Menschen auf die Brüchigkeit vieler ihrer intuitiven Vorstellungen hinzuweisen, würde die Dringlichkeit des Handelns beim Klimawandel viel einsichtiger.
Unterschätzen wir, was auf uns zukommt?
Renn: Ja, wir unterschätzen, was auf uns zukommt. Wir unterschätzen im Speziellen die Rückkopplungsschleifen, die Probleme drastisch verstärken können. Etwa dass die Erhöhung der Umgebungstemperatur durch den Treibhauseffekt Unmengen von Methan aus den Permafrostgebieten freisetzen könnte, das wiederum als weiteres Treibhausgas die Temperaturerhöhung verstärken würde. Allerdings glaube ich trotz aller Dramatik nicht, dass uns dabei die Rhetorik hilft, wie sie die „Letzte Generation“ oder „Extinction Rebellion“ heute verwenden.
Über den Experten
IASS Ortwin Renn
Ortwin Renn (71) ist habilitierter Soziologe und war bis 2022 wissenschaftlicher Direktor am Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam (IASS) sowie Inhaber des Lehrstuhls für Technik- und Umweltsoziologie an der Universität Stuttgart. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Risikokommunikation und die Partizipationsforschung.
Warum halten Sie deren Rhetorik für ungeeignet?
Renn: Weil sie übertrieben ist und auch Konsequenzen vorhersagt, die wissenschaftlich fragwürdig sind. Wenn uns suggeriert wird, wir seien in zehn oder 20 Jahren alle tot, sofern wir jetzt keine ambitionierte Klimapolitik vorantreiben, dann stimmt das einfach nicht und das glaubt auch keiner. Bei vielen bewirkt das sogar eher eine Relativierung, nach dem Motto: „ Warum übertreiben die denn so?”.
Wie muss gute Klima-Kommunikation stattdessen aussehen? So dass sie einerseits keine falschen Ängste schürt, sich die breite Masse aber dennoch gewahr wird: Wir müssen jetzt endlich ins Handeln kommen!
Renn: Es kommt auf zwei Dinge an. Erstens muss man jedem Menschen deutlich machen, dass er oder sie konkret betroffen sein wird. Dass man nach Katastrophen wie im Ahrtal nicht sagen kann: „ Ja, wenn die so verbohrt sind und sich so nah am Wasser niederlassen, dann tut es mir leid. Aber ich wohne ja weit genug weg, mir passiert sowas nicht. Und wenn es im Sommer ein bisschen heißer wird, trinke ich halt mehr“. Diese Ausreden muss man entkräften und deutlich machen: Leute, ihr werdet die Konsequenzen hautnah zu spüren bekommen und das ist alles andere als eine vorübergehende Unangenehmlichkeit. Es wird uns am eigenen Lebensnerv treffen.
„Der Klimawandel ist alles andere als eine vorübergehende Unangenehmlichkeit“
Und zweitens ist es genauso wichtig zu kommunizieren, dass wenn wir das Ganze jetzt beherzt und engagiert ernstnehmen, dann schaffen wir es auch. Dann können wir die Bedrohungen durch den Klimawandel auf ein akzeptables Niveau begrenzen. Aber es muss auch klar sein: Die Transformation kommt nicht von selbst, Politik, Wirtschaft und Konsumverhalten müssen sich ändern. Aber wenn wir uns für einen ambitionierten Klimaschutz entscheiden, heißt das nicht, dass wir künftig nur noch im Büßerhemd rumlaufen dürfen und Tag für Tag Müsli essen.
Gerade Deutschland ist ein reiches Land und wir können die Verlierer, die es zum Beispiel durch den Strukturwandel in der Energieversorgung geben wird, entschädigen, ohne die alten Strukturen weiter zu verfestigen. Wir erwarten auch nicht, dass sich alles und jeder von heute auf morgen komplett ändert, aber wir müssen konsequent auf regenerative Energien umsteigen, den Fleischkonsum reduzieren, was übrigens auch viel gesünder ist…
Ist das vielleicht auch ein wichtiger Punkt: Nicht immer nur die negativen Konsequenzen zu betonen, sondern das Positive in der Veränderung stärker in den Vordergrund zu rücken?
Renn: So ist es. Es ist zwar ebenso problematisch, den Prozess zu bagatellisieren und so zu tun, als ob das alles ein Spaziergang wäre. Jede Transformation fordert Opfer. Aber insgesamt sind die Kosten für die Transformation um Größenordnungen geringer als die Kosten durch den Klimawandel. Verteilungsungerechtigkeiten können wir daher auch in Maßen ausgleichen, sofern die Politik das will. Hinterher werden wir alle besser dran sein.
„Jede Transformation fordert Opfer. Aber die Kosten dafür sind viel geringer als die Kosten durch den Klimawandel“
Deswegen ist es so wichtig, dass man die Transformation auch positiv erzählt – zum Beispiel: Wenn wir umgestellt haben auf regenerative Energien, dann…. Wenn wir es schaffen, die Biodiversität zu erhalten, bedeutet das…. Am Ende können wir vielleicht sogar ein glücklicheres Leben führen als jetzt, weil wir unseren Wohlstand, der dann anders gemessen werden muss als mit dem Bruttosozialprodukt, wieder mit einem besseren Gewissen genießen können.
Sie haben vorhin exponentielles Wachstum angesprochen und die Schwierigkeit zu verstehen, was es wirklich meint. Hat Deutschland diesbezüglich auch etwas aus der Corona-Krise gelernt?
Renn: Zumindest zu Beginn der Pandemie ist das Zutrauen in die Prognosefähigkeit der Wissenschaft gestiegen. Wir haben gelernt, wie wichtig es für die Gesundheitsvorsorge ist, antizipativ auf Basis von Simulationen zu arbeiten. Auch in Bezug auf den Klimawandel höre ich immer seltener, dass jemand sagt: „ Das behauptet die Wissenschaft doch nur, weil sie Geld will“ oder „ Die Prognosen beruhen ja doch nur auf Fantasien von Forschern“ . Das liest man selbst in den sozialen Medien immer seltener.
Wie optimistisch sind Sie, dass wir die ganz große Klima-Katastrophe noch verhindern? Viele gehen von einem massiven Schub in Sachen Transformation in den kommenden Jahren aus – allein aus ökonomischen Gründen.
Renn: Gerade die Stimmen aus der Wirtschaft machen mich optimistisch. Inzwischen erkennen fast alle großen Industrieunternehmen den Klimawandel als Problem an, vor fünf Jahren war das noch nicht so. Man kann darüber streiten, ob das, was sie und die Politiker konkret umsetzen, genug ist, aber es tut sich etwas. Ich glaube auch nicht, dass wir noch viel Greenwashing sehen, wie es oft gesagt wird. Denn die Industrien haben verstanden, dass wenn sie in 100 Jahren noch existieren wollen, sie jetzt handeln müssen.
Diese Hebel aus der Wirtschaft heraus sind wirkmächtig, aber natürlich auch schwerfällig – und daher wird es noch dauern, bis sich die Dinge fundamental ändern. Wir haben die letzten 20 Jahre geschlafen, deswegen wird es auch nicht mehr reichen, nur künftige Treibhausgase zu vermeiden, sondern wir müssen parallel auch Anpassungsmaßnahmen umsetzen, weil der Klimawandel bereits wirksam wird und nicht mehr zu verhindern ist. Wir können nur noch dafür sorgen, dass es noch schlimmer wird.
Wenn wir es jetzt klug anstellen, kommen wir ungefähr auf 2,3 oder 2,4 Grad Erderwärmung; das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen ist zum heutigen Zeitpunkt weltweit unrealistisch. Aber wenn wir den Klimaschutz klug und engagiert machen – und dafür sehe ich durchaus Anzeichen – dann wird es nicht ohne Verluste und Kosten gehen, aber doch noch rechtzeitig, um katastrophale Auswirkungen zu vermeiden.