Staatsleistungen an Kirchen – Und ewig fließen die Millionen

Staatsleistungen an Kirchen – Und ewig fließen die Millionen

Vor Jahrhunderten verlor die Kirche ihre Ländereien, bis heute bekommt sie dafür Entschädigungen, 602 Millionen Euro zuletzt. Ketzerfrage zu Ostern: Warum eigentlich?

Vor 500, teils noch vor 250 Jahren war es so: Wer ein Feld bestellte, wer gepflügt, gesät und geerntet hatte, musste nicht selten einen guten Teil des Ertrags der Kirche abgeben. Für den Lebensunterhalt des Dorfpfarrers oder eine neue Soutane für den Bischof. Den Kirchen gehörten damals riesige Flächen, und es war eine der wichtigsten Modernisierungsschritte, den Geistlichen diesen Besitz zu nehmen, um ihn in weltliche Herrschaft zu überführen: erst in die des Königs, dann in die des Volkes. Diesen Prozess nennt man Säkularisation, und wenn er erfolgreich gewesen und abgeschlossen wäre, wäre die Geschichte hier vorbei. Ist sie aber nicht.

Denn gewissermaßen hat die Kirche ihre Felder und Besitztümer nie wirklich verloren. Der Bauer, und mit ihm alle anderen, zahlen noch heute, Hunderte Jahre später, Geld für viele Tausende Quadratkilometer einstiger Ländereien.

So skurril das klingt, es lässt sich historisch erklären. Als die Könige den Kirchen die Länder wegnahmen, sahen sie ein, dass die Pfarrer und alles andere trotzdem weiterbezahlt werden mussten. So entstanden die Entschädigungen. Dann wurden mit der Republikgründung 1919 Staat und Kirchen zwar getrennt. Aber allein auf die Mitgliederfinanzierung durch die neue Kirchensteuer wollte man sie dann doch nicht zurückwerfen. Dafür waren die Kirchen einfach zu wichtig.

So kommt es, dass im vergangenen Jahr 602.244.200 Euro an Staatsleistungen aus Steuermitteln der Bundesländer an die evangelischen und katholischen Kirchen flossen. Damit werden Gehälter oder Gebäude finanziert, die Kirchen können darüber nahezu frei verfügen. Das Geld kommt noch zur Kirchensteuer hinzu, die der Staat für die Kirchen eintreibt. Eine Sachverständige hat 2021 für den Bundestag errechnet (PDF), dass die Staatsleistungen allein in den vergangenen 100 Jahren den Wert des früheren Kircheneigentums locker um das 194-fache übersteigen. Die Kirche kommt also ungefähr so gut weg wie sonst nur Berliner Vermieter.

Dabei hat der Staat, um im Bild zu bleiben, sich schon vor 100 Jahren vorgenommen, endlich zu kaufen, statt zu mieten. Bereits die Weimarer Verfassung von 1919 und später das Grundgesetz beauftragten den Staat, die jährlichen Staatsleistungen durch eine Einmalzahlung abzulösen, also zu beenden. Das aber hat sich bis heute keine Regierung getraut.

Spannender, als sich über dieses ewige, teure Versäumnis zu empören, ist die Frage, warum gerade jetzt Bewegung in die Sache kommt. Die Regierungsfraktionen haben nämlich einen Entwurf zur Ablösung der Staatsleistungen vorgelegt, der Preis soll bei rund 10 Milliarden Euro liegen. Die Bundesländer, die letztlich zahlen müssten, lehnen den Entwurf zwar ab, in dieser Woche wurden die Verhandlungen vorerst abgebrochen. Aber es ist doch der ernsthafteste Anlauf seit 100 Jahren.

Möglich ist das gerade jetzt überhaupt nur, weil die alten Privilegien der Kirche mittlerweile in offenem Gegensatz zur düsteren Gegenwart stehen: Missbrauchsskandal, Mitgliederschwund – katholische und evangelische Kirche gelten nicht mehr selbstverständlich als Bundeswerteagenturen. Kirchenkritik ist Konsens, Deutschland scheint einen religionssoziologischen Kipppunkt erreicht zu haben.

Deshalb geht es bei der Ablösung der Staatsleistungen nicht nur um Geld. Sondern letztlich darum, ob das Land bereit ist, die vor Jahrhunderten begonnene Säkularisierung zu vollenden. Ob es sich traut, den Status der Kirche auf ein weltliches Maß zu schrumpfen. Da dürfen auch Ungläubige sich sorgen: vor den Lücken, die geschwächte Kirchen in den eh schon gebeutelten Betreuungssystemen reißen würden – Diakonie und Caritas sind zuletzt gewachsen statt geschrumpft. Wenn sie Kitas und Krankenhäuser nicht betreiben, bleiben fast nur noch der Staat und private Unternehmen. Elterninitiativen oder Genossenschaften können das (noch) nicht ersetzen.

So sehr die Kirchen als Sinnlieferanten also an Bedeutung verloren haben, so zentral sind sie weiterhin für das Selbstverständnis einer Zivilgesellschaft, die sich nicht nur nach ökonomischen Kriterien oder von Staatshand versorgen und organisieren lassen will. Die glaubt, dass es dazu noch etwas Drittes braucht, eine organisierte Mitmenschlichkeit um ihrer selbst willen. Eine Ablösung der Staatsleistungen könnte jetzt der symbolische Akt sein, der die Gesellschaft mit jener Frage konfrontiert, die seit Beginn der Kirchenentmachtung vor 500 Jahren unbeantwortet geblieben ist: Muss etwas anderes an ihre Stelle treten? Und wenn ja, was könnte das sein?

Quelle: Die Zeit

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Eine Antwort

  1. Gabiseigenart sagt:

    Danke für diesen sehr aufschlussreichen Artikel. Zwar war mir der geschichtliche Verlauf zwischen Staat und Kirche nicht fremd, jedoch hatte ich bisher keine Ahnung von diesen enormen Summen, die da geflossen sind. Ohne Worte.

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