Grüne befinden sich in einem Dilemma und können sich nur selbst schaden

Grüne befinden sich in einem Dilemma und können sich nur selbst schaden

Die Grünen haben schon bessere Zeiten gesehen. Eineinhalb Jahre nach dem medial umjubelten Start der Ampel-Regierung sind sie in Umfragen von mehr als 20 auf 16 bis 17 Prozent gefallen, haben Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock ihre Spitzenpositionen im Politiker-Ranking verloren, wurde das Rote Rathaus in Berlin nicht erobert, scheiterten ihre Kandidaten gleich bei mehreren Oberbürgermeisterwahlen in grünen Hochburgen wie Heidelberg, Frankfurt oder Darmstadt. Man könnte sagen: Der grüne Lack blättert ab.

Allerdings lässt sich die Lage der Öko-Partei auch positiv interpretieren. Als einzige der drei Ampel-Partner liegen die Grünen in den Umfragen über ihrem Bundestagswahlergebnis von 2021, als sie auf 14,8 Prozent kamen. Vor allem profitieren sie von der Tatsache, dass im Bund wie in den Ländern schwarz-gelbe Mehrheiten nicht in Sicht sind. Ganz abgesehen davon, sind sich die einstigen Wunschpartner CDU/CSU und FDP längst nicht mehr so zugetan wie einst. Die Freien Demokraten stehen mehr auf Ampel als auf Jamaika, einer Koalition von Union, FDP und Grünen.

Machtpolitisch sind die Grünen also in einer deutlich besseren Lage als ihre Wettbewerber: Ohne sie kann weder die Union noch die SPD regieren. Ob Rot-Grün oder Schwarz-Grün, ob Ampel oder Jamaika, ob Grün-Schwarz oder Rot-Grün-Rot – wer regieren will, ist auf die Grünen angewiesen.

Die Grünen könnten sich also entspannt zurücklehnen. Schließlich hätte sich vor drei Jahren kaum jemand eine solche Konstellation vorstellen können – mit den Grünen an den Schalthebeln der Macht. Doch Habeck, Baerbock sowie die Partei-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omnid Nouripour sind keineswegs zufrieden. Denn sie streben längst nach Höherem – nach der Kanzlerschaft.

Die Träume der Grünen zerplatzten im Wahlkampf 2021
Das kommt nicht von ungefähr. Seit Oktober 2018 hatten die Grünen in den Umfragen stets vor der bei 13 bis 15 Prozent herumdümpelnden SPD gelegen. Die Chancen auf eine Ampel unter grüner Führung waren nicht schlecht. Die Öko-Partei sah sich auf dem Weg zur zweiten politischen Kraft im Bund und zur Nummer eins im linken Lager – vor der SPD. Diese Träume zerplatzten indes im Wahlkampf 2021, als die Kanzlerkandidatin Baerbock von einer Panne zur nächsten Peinlichkeit stolperte.

Das Ziel, die Pole-Position im linksgrünen Lager zu erobern, haben die Grünen indes nie aufgegeben. Doch müssen sie feststellen, dass sie inzwischen weit davon entfernt sind. Die SPD kann ihr Wahlergebnis von 25,7 Prozent auch nicht halten. Sie liegt jedoch in fast allen aktuellen Umfragen klar vor den Grünen.

Das ist insofern überraschend, als Umweltschutz und Klimawandel laut des aktuellen „ARD-Deutschlandtrend“ als wichtigste Themen angesehen werden. Doch geht den meisten Bürgern ein Lippenbekenntnis zu einer anderen Klimapolitik leicht von den Lippen. Hingegen fällt es der Mehrheit schwer, dabei auch finanzielle Nachteile oder Abstriche beim eigenen Lebensstil hinzunehmen.

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„Mehr Klima“ wollen die Bürger nicht am eigenen Geldbeutel spüren
Für dieses gespaltene Bewusstsein liefert der Deutschlandtrend ebenfalls wichtige Hinweise. 44 Prozent der Befragten gehen die Veränderungen in der Klimapolitik zu langsam voran. Gleichzeitig sind 43 Prozent mit den Regelungen zum Einbau neuer Heizungen nicht einverstanden, lehnen 55 Prozent das Aus für den Verbrenner ab und sind 56 Prozent mit dem schnelleren Autobahnausbau einverstanden. Man merkt: Nur wenn sich der Klimawandel mit Mahnwachen aufhalten ließe, wären wohl alle uneingeschränkt dafür.

Die Grünen sind in den Augen der Bürger unverändert die Partei, der man in der Klima- und Umweltpolitik die größte Kompetenz zubilligt. Doch ist die Unterstützung der Grünen bei diesen Fragen von 47 Prozent im September 2022 auf jetzt 32 Prozent abgesackt. Damit liegen sie weiterhin weit vor CDU/CSU (13 Prozent) und SPD (9 Prozent), doch ihr Nimbus als Klimaretter schwindet. Klimapolitik ist eben nicht mehr so sexy, wie noch vor dem russischen Überfall auf die Ukraine.

Das zeigt sich sehr deutlich beim Thema Atomausstieg. Die grundsätzliche Ablehnung der Kernkraft ist Bestandteil der Grünen-DNA. So halten die „Hard Core“-Grünen in Partei und Wählerschaft daran fest, der Klimapolitik alles andere unterzuordnen.

Doch angesichts der Energieknappheit sind laut Forsa inzwischen 68 Prozent der Deutschen dafür, wenigstens die letzten drei Kernkraftwerke über den 15. April hinaus laufen zu lassen. Würden die Grünen dem nachgeben, brächte es ihnen Punkte beim Wähler ein. Doch in Partei und Fraktion käme es zu einer Revolte.

Was immer die Grünen derzeit machen, stets laufen sie Gefahr, eigene Wähler zu enttäuschen oder potenzielle abzuschrecken.  So muss die Partei mit Sorge registrieren, dass „Fridays for Future“ immer weniger die Rolle einer grünen Vorfeldorganisation einzunehmen bereit ist. Im Gegenteil: Diese Klimaaktivisten haben überhaupt kein Verständnis dafür, dass ausgerechnet ein grüner Wirtschafts- und Klimaminister mehr Kohle verfeuern lässt, als dem Klima guttut. Das lassen sie die Grünen auch spüren.

Zudem sorgen die Klimakleber von der „Letzte Generation“ mit ihren Blockaden dafür, dass Klimapolitik als elitär wahrgenommen wird. Das wiederum veranlasst die Grünen zu vorsichtigen Distanzierungen von diesen Straftätern – sicherlich nicht zur Freude der Klima-Fundamentalisten unter den eigenen Sympathisanten.

Wenn die Grünen über den Status der dritten Kraft hinauswachsen, wenn sie Kanzlerpartei werden wollen, müssen sie neue Wählerschichten erschließen. So versuchen sie schon seit einiger Zeit, das Soziale ebenfalls zu ihrem Markenzeichen zu machen. Vielen Sympathisanten der Grünen graust indes bei der Vorstellung, sie müssten schon bald für sehr viel Geld ihr Häuschen energetisch sanieren und ihren alten Benziner verschrotten. Mag man „mehr Klima“ für ganz toll finden – am eigenen Geldbeutel möchte man möglichst wenig von der entsprechenden Politik spüren.

Es waren halt die Sozialdemokraten, die innerhalb der Ampel darauf drängten, beim energetischen Umbau des Landes nicht die Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen zu vergessen. Habeck musste nachgeben. Und am Ende waren alle enttäuscht: die Befürworter einer rigorosen Klimapolitik wie diejenigen, die von den Grünen mehr Rücksicht auf die kleinen Leute erwarten.

Das soziale Profil der Partei zu schärfen, versucht die grüne Familienministerin Lisa Paus mit dem Projekt Kindergrundsicherung. Doch die von ihr geforderten 12 Milliarden Euro, die sie Familien zusätzlich zukommen lassen will, wird Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) nicht bereitstellen. Das Auffällige dabei: Die SPD, von der man eigentlich eine kräftige Unterstützung neuer sozialer Wohltaten erwarten könnte, hält sich auffällig zurück. So könnten die Grünen sich am Ende mit einer „Kindergrundsicherung light“ begnügen müssen. Ihren Ruf als sozialpolitische Kraft würde das sicher nicht befördern.

Olaf Scholz macht Grünen zu schaffen
Was den Grünen ebenfalls zu schaffen macht, ist die Strategie von Bundeskanzler Olaf Scholz. Der Sozialdemokrat zog als „Klimakanzler“ in den Wahlkampf, regiert aber jetzt viel lieber als „Sozialkanzler“. Klimapolitische Eingriffe oder Auflagen enden für Scholz und Genossen dort, wo die Arbeitnehmer das zu deutlich zu spüren bekommen. Wenn dabei manche Vorstellung und Forderung des grünen Koalitionspartners auf der Strecke bleibt – umso besser. Denn Scholz hat aus verständlichen Gründen kein Interesse daran, dass die Grünen sich zu einer zweiten linken Volkspartei entwickeln könnten.

Das mehr als 30-stündige Ampelgerangel vor zweieinhalb Wochen hat neben einigen sachlichen Ergebnissen und vielen interpretationsbedürftigen Worthülsen eines zutage gebracht: Sozialdemokraten und Freie Demokraten nicken nicht alles mit dem modischen Klima-Label einfach ab. Die SPD denkt auch an die Kosten für ihre Wähler, die FDP ihrerseits wehrt sich gegen zu viele Verbote. Die Grünen hingegen sind keineswegs „das Weltkind in der Mitten“, wie Goethe im „Diner zu Coblenz im Sommer 1774“. Sie müssen sich eher wie zwischen Baum und Borke vorkommen: zwischen den schönen Hoffnungen von einst und der harten Regierungsrealität von heute.

Quelle: Focus

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