Scholz, Baerbock und Macron machen bei Xi den gleichen Denk-Fehler
In den vergangenen Monaten gaben sich europäische Spitzenpolitiker in China die Klinke in die Hand: Zuerst kam Olaf Scholz im vergangenen November, im März Spaniens Ministerpräsident Sanchez, dann folgte im April der Besuch des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, der die EU Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Schlepptau hatte. Zuletzt besuchte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock die Volksrepublik. Der Kontext dieser Besuche ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und eine zunehmende Unsicherheit über die Positionierung Pekings in diesem Konflikt.
Xi tut nichts für Ukraine
Zuletzt sagten ukrainische Militärexperten, dass sie in den Überresten russischer Raketen zunehmend chinesische Komponenten finden. Das nährt die Furcht in den Hauptstädten der freien Welt, dass Peking am Ende nun doch Waffensysteme an Putins Armee schicken könnte. Bisher hatte man die Hoffnung gehegt, Peking von diesem Schritt abhalten zu können. Auch wenn Peking nicht müde zu wird zu behaupten, dass die Volksrepublik ein neutraler Akteur in diesem Krieg sei, hat die Führung von Xi Jinping bislang nichts unternommen, um der angegriffenen Ukraine zu helfen.
Alexander Görlach ist Honorarprofessor für Ethik an der Leuphana Universität in Lüneburg und Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs in New York. Nach einem Aufenthalt in Taiwan und Hongkong hat er sich auf den Aufstieg Chinas konzentriert und was dieser für die Demokratien in Ostasien im Besonderen bedeutet. Von 2009 bis 2015 war Alexander Görlach zudem der Herausgeber und Chefredakteur des von ihm gegründeten Debatten-Magazins The European. Heute ist er Kolumnist und Autor für verschiedene Medien. Er lebt in New York und Berlin.
Das Fazit des diplomatischen Marathons lautet: Kein Staat kann es heute mehr allein mit der Volksrepublik aufnehmen. Die Wahrheit, die sich in Paris, Berlin und Madrid immer mehr durchsetzen muss, lautet: Nur eine geeinte Phalanx der freien Welt ist in der Lage, mit Peking zu verhandeln. Denn die Volksrepublik China ist heute der mächtigste Staat der Welt. Das heißt, es ist die Nation, die den größten Sog in der Welt erzeugt. Es gibt kein Land unter der Sonne, das seine Außen-, Sicherheits-, Wirtschafts- und Handelspolitik nicht an den Entwicklungen in Xi Jinpings China ausrichtet. Ob „De-coupling“ oder „De-Risking“, all diese neuen Konzepte beziehen sich auf ein erstarkendes China und seine zunehmend aggressive Haltung in der Welt.
Die Vereinigten Staaten von Amerika sind wohl das einzige Land der Welt, das es militärisch noch mit der Volksrepublik aufnehmen kann. Die USA sind in der Tat die einzige derzeit existierende Supermacht. Das bedeutet, dass Washington Militärstützpunkte und Handelsbeziehungen auf der ganzen Welt unterhält wie keine andere Nation. Es bedeutet aber auch, dass die „soft power“ der USA ungleich größer ist als die der Volksrepublik. Noch immer wollen viel mehr Menschen nach Amerika einwandern als in Xis autoritäres China.
Aber auch die USA richten ihre Politik ganz auf die Entwicklungen in China aus. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass der kommende Präsidentschaftswahlkampf ganz im Zeichen der Volksrepublik stehen wird. Demokraten und Republikaner streiten darüber, wer eine härtere Gangart gegenüber der Volksrepublik einzuschlagen bereit ist. Das bedeutet, dass auch das heute noch militärisch stärkste Land seine China-Politik mit seinen Partnern in der Welt abstimmen muss.
Wenn sich die freie Welt in Sachen China nicht einig ist, passiert genau das, was in der vergangenen Woche zu beobachten war: Frankreichs Präsident Macron erklärt nach einem Staatsbesuch in China, die Taiwan-Frage spiele für Frankreich oder Europa keine übergeordnete Rolle und man dürfe sich nicht zum Anhängsel Washingtons machen. In Peking freut man sich über Macrons unterwürfige Ergebenheit.
Bei China macht jedes westliche Land den gleichen Fehler
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock musste den französischen Präsidenten korrigieren, als sie ihrerseits im Gespräch mit chinesischen Spitzenpolitikern einen Krieg in der Taiwanstraße als „Horrorszenario“ bezeichnete. Dieses diplomatische Wechselspiel, das die chinesische Führung mit Vergnügen verfolgen dürfte, hat das Dilemma der freien Welt offengelegt: In allen Hauptstädten macht man denselben Fehler. Man glaubt, aufgrund alter, aber längst verlorener Größe immer noch auf Augenhöhe mit China sprechen zu können. Selbst Chinas engster Partner, Putins totalitäres Russland, kann das nicht von sich behaupten. Der Kreml ist nur Xis Juniorpartner.
Leider braucht die Alte Welt sehr lange, um auf die neue geopolitische Situation angemessen zu reagieren. Es bleibt zu hoffen, dass Institutionen wie die G7 den bisherigen Kurs möglichst bald korrigieren. Vielleicht hilft dabei Gastgeber Japan, das als einziges Land des Zusammenschlusses die Veränderungen in der Volksrepublik in unmittelbarer geographischer Nähe täglich miterlebt. Nicht umsonst hat Tokio angekündigt, seinen Militärhaushalt in den nächsten fünf Jahren zu verdoppeln.
Wenn die freie Welt nicht lernt, mit einer Stimme zu sprechen und zu begreifen, dass sie nur als Einheit auf Augenhöhe mit Peking sprechen kann, wird es in der Tat ein chinesisches und kein freiheitlich-demokratisches Jahrhundert werden.