Der simple Kniff fürs Klima, den die Öl- und Gasriesen ignorieren
Solange die Politik den Konzernen keine entsprechenden Auflagen macht, aber den Bürgern große finanzielle Lasten auferlegt, kann die Umweltpolitik dieser Regierung, in ihrer jetzigen Form, nicht ernst genommen werden.
Es geht nicht nur um CO₂: Das Treibhausgas Methan ist ein wesentlicher Faktor für die weltweite Erderwärmung. Öl- und Gasindustrie pusten jährlich Millionen Tonnen des Gases in die Luft, obwohl es sich technisch ganz leicht vermeiden ließe. Jetzt will das EU-Parlament die Daumenschrauben andrehen.
Zwei weitestgehend unbekannte Felder in Turkmenistan sind eines der größten Klimaprobleme der Welt. Wie der britische „Guardian“ am Dienstag offenlegte, stießen zwei Gasförderstätten in dem zentralasiatischen Land im Jahr 2022 mehr umweltschädliche Emissionen aus als ganz Großbritannien. „Irre“ sei das, zitiert der „Guardian“ aus Kreisen von Expertinnen und Experten, „zum Verzweifeln“.
Gefährliche Löcher
Der Grund dafür? Methan, chemische Summenformel: CH4. Methan ist einer der Hauptbestandteile von Erdgas und maßgeblich für die Klimaerwärmung auf dem Planeten verantwortlich. Zwar verschwindet Methan wieder schneller aus der Atmosphäre als Kohlendioxid (CO₂), dafür ist es über 20 Jahre betrachtet etwa 80-mal so klimaschädlich wie CO₂, weil es weitaus mehr Wärme auf der Erdoberfläche binden kann. Studien zufolge ist Methan alleine für 0,5 Grad der bisherigen 1,1 Grad Erderwärmung durch den Menschen verantwortlich.
Vor allem die Öl- und Gasindustrie stoßen jährlich Milliarden Tonnen Methan aus – meist durch das Ablassen von überschüssigem Gas, das nicht transportiert oder verkauft werden kann. Neben diesem sogenannten „Flaring“ oder „Venting“ sind aber auch Löcher in den Pipelines ein Problem, durch die unkontrolliert Methan austreten kann. Die Energieindustrie stieß im vergangenen Jahr 135 Millionen Tonnen Emissionen durch Methan in die Atmosphäre aus, berechnete die Internationale Energieagentur (IEA).
Das Geld wäre da
Die Gesellschaft hat hier also einen großen Klima-Hebel in der Hand: Wenn es gelingt, den Ausstoß von Methan zu begrenzen, hätte sie einen der größten Verursacher der Erderwärmung beseitigt. Und das wäre gar nicht so schwer und nicht mal besonders teuer, ermittelte ebenfalls die IEA in einem aktuellen Bericht von letzter Woche. Dort legte die Agentur insgesamt fünf Maßnahmen vor, mit denen die Energieindustrie insgesamt 60 Prozent ihrer Emissionen einsparen könnte. Zwei der fünf Maßnahmen haben mit Methan zu tun, Kosten insgesamt: 600 Milliarden Euro. Das sei nur ein Bruchteil der Profite, die die Industrie während der Energiekrise im Jahr 2022 eingestrichen habe, notieren die Autorinnen und Autoren.
Das Geld wäre also da – der Wille ist es nur bedingt, wie das Beispiel Turkmenistan zeigt. Modernisierte Anlagen könnten zumindest einen Teil des Gases beim Ablassen wieder einfangen, und Lecks in den Pipelines könnten ganz einfach gestopft werden. Doch meist sehen die Förderbetriebe keine Notwendigkeit. Berühmt wurde im letzten Jahr auch die „Flamme von Portowaja“ : Der russische Staatskonzern Gazprom fackelte im Spätsommer 2022 große Mengen Erdgas an einer Verdichterstation nahe der Ostsee ab, die resultierende Flamme war sogar noch von Finnland aus zu sehen.
Nigeria ist schon weiter
Aber auch die EU-Staaten haben Nachholbedarf, denn bislang existieren noch keine verpflichtenden Ziele zur Reduktion der Methan-Emissionen. Staaten wie Norwegen oder Nigeria sind da schon weiter. Dabei hatte die EU im Jahr 2021 den „Global Methane Pledge“ mitbegründet, in dem 150 Staaten auf freiwilliger Basis zusicherten, ihre Methanemissionen zu senken.
Doch zumindest das EU-Parlament will nun der Öl- und Gasindustrie die Daumenschrauben anlegen. Eine große Mehrheit der Abgeordneten stimmte am Dienstag in Straßburg für eine entsprechende Position, die nun Grundlage für Verhandlungen mit den Regierungen der Mitgliedstaaten wird. Am Ende soll die erste EU-weite Vorschrift zur Verringerung von Methan-Emissionen stehen, die zum Beispiel Pflichten für das Aufspüren und Schließen von Methanlecks vorsieht.
Kampf um 400 Millionen Tonnen
Und: Das Abfackeln und Ablassen von Methan soll ab 2025 verboten werden. Es handle sich um „eine umweltschädliche Praxis und eine absolute Verschwendung“, sagte die EU-Abgeordnete Jutta Paulus von den Grünen am Dienstag. Es könne nicht sein, dass Konzerne regelmäßig Methan abließen, nur weil sie keine Lust hätten, ihre Anlagen zu modernisieren. Die Regeln sollen ab 2026 auch für Importe gelten – die EU importiert derzeit 80 Prozent ihres verwendeten Gases. Dem Abstimmungstext des Parlaments zufolge könnten die Maßnahmen jährlich 400 Millionen Tonnen an Emissionen einsparen.
Ob die Wünsche des Parlaments in dieser Form umgesetzt werden, ist aber noch unklar. Denn jetzt muss der sogenannte Ministerrat zustimmen, das Gremium der 26 EU-Mitgliedsstaaten. Der Ministerrat hatte bei ersten Verhandlungen im Dezember jedoch schon die EU-Kommission zur Weißglut getrieben, weil sie deren ursprünglichen Vorgaben immer weiter abschwächte. Ein Abschluss der Verhandlungen wird für den November erwartet.
Mit dpa-Material