Dunning-Kruger-Effekt: Weshalb inkompetente Menschen oft das größte Selbstbewusstsein haben
“Ich weiß, dass ich nichts weiß”, wusste schon der griechische Philosoph Sokrates. Vielen Menschen in der heutigen Zeit war er damit voraus. Der Dunning-Kruger Effekt beschreibt das Gegenteil der Sokrates-Erkenntnis: Die völlige Selbstüberschätzung – trotzdem mit der Option auf Erfolg
„Der Schiedsrichter ist doch blind…“, „Wenn ich in diesem Land was zu sagen hätte…“, „wo haben die Idioten denn ihren Führerschein gemacht?“ – die Beispiele für selbsternannte Experten auf allen möglichen Gebieten sind vielfältig. Der Dunning-Kruger Effekt beschreibt genau dieses Phänomen: Die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten, um sich selbst als kompetent darzustellen.
Überlegungen zum Dunning-Kruger-Effekt werden 1999 veröffentlicht
Veröffentlicht haben David Dunning und Justin Kruger ihre Arbeit dazu im Jahr 1999. Den beiden US-amerikanischen Psychologen war in einigen ihrer vorherigen Studien aufgefallen, dass Unwissenheit offenbar oft zu mehr Selbstvertrauen führt als Wissen. Um ihre Vermutung zu untermauern, befragten sie Studierende der Cornell University (New York) zu ihrer Selbsteinschätzung im logischen Denken oder Grammatik.
Inkompetente Menschen neigen zur Selbstüberschätzung
Das Ergebnis diverser Tests: Wer seine Kenntnisse als besonders gut eingeschätzt hatte, erzielte in der folgenden Prüfung ein schlechtes Ergebnis. Wer sich selbst unterschätzt hatte, erzielte ein wesentlich besseres Ergebnis als gedacht. Dunning und Kruger formulierten daraufhin vier Stufen der Selbstwahrnehmung, die sie auch mit dem Intelligenzquotienten und der Selbstreflexion in Verbindung bringen:
- Inkompetente Menschen überschätzen oft ihre eigenen Fähigkeiten.
- Sie sind unfähig, das Ausmaß ihrer Inkompetenz zu erkennen.
- Bedingt durch ihre Ignoranz bauen sie ihre Kompetenz nicht aus.
- Dadurch unterschätzen sie die überlegenen Fähigkeiten anderen Menschen.
Besonders kritisch: Die Kombination von Inkompetenz und Ignoranz
Für die Paarung von Ignoranz und Inkompetenz finden sich zahlreiche Beispiele. Eines der bekanntesten ist ein Banküberfall im Jahr 1995, den ein Mann namens McArthur Wheeler begangen hat. Er wird seitdem auch als der wohl dümmste Bankräuber aller Zeiten bezeichnet. Der damals 44-jährige hatte in Pittsburgh/USA an einem Tag gleich zwei Banken nacheinander ausgeraubt – aber dabei zum Erstaunen der Polizei keine Gesichtsmaske aufgesetzt.
Anhand der Kameraaufzeichnungen wurde der Bankräuber noch am selben Tag identifiziert. Bei seiner Verhaftung war Mc Arthur Wheeler mehr als erstaunt. Der Grund: Er hatte sich sein Gesicht vor dem Banküberfall mit Zitronensaft eingerieben. Da dieser Saft als unsichtbare Tinte verwendet wird, war der Bankräuber der festen Überzeugung, dass auch sein Gesicht nicht auf den Kameraaufnahmen zu sehen sein würde.
Donald Trump als Fallbeispiel der Social Psychology
Seit der Präsidentschaft von Donald Trump ist der Dunning-Kruger-Effekt in den Mittelpunkt der Diskussionen von Politikwissenschaftlern und der Social Psychology gerückt. Von ihm formulierte Sätze wie „Das kann nur ich“ oder „Niemand weiß mehr über diese Sache als ich“ werden als prominentes Beispiel für den Dunning-Kruger-Effekt und Inkompetenz im Zusammenspiel mit Ignoranz zitiert.
Gleichzeitig stellt die Wissenschaft die Frage nach einem Zusammenhang des Intelligenzquotienten von Trump-Wählern und der Fähigkeit zur Selbstreflexion. So formulierte der US-amerikanische Neurowissenschaftler Bobby Azarian in seinem Blog für die Fachzeitschrift Psychology Today: „Im Wesentlichen sind sie nicht klug genug, um zu erkennen, dass sie dumm sind.“ Damit würde sich der Dunning-Kruger-Effekt bestätigen. Es gibt aber auch Kritik an der Arbeit und der Hypothese der beiden US-Psychologen.
Psychologie kritisiert Dunning-Kruger-Studie
So kritisieren Edward Nuhfer (Philosophie) und Steven Fleisher (Psychologie) von der California State University in ihrer Studie aus dem Jahr 2017 den von Dunning und Kruger hergestellten Zusammenhang zwischen Intelligenz, Bildung, Selbstreflexion und Selbsteinschätzung. Der Grund dafür, dass besser gebildete Menschen ihre Fähigkeiten besser einschätzen könnten, läge darin „dass Fachleute geübt darin sind, sich der Grenzen ihres Wissens bewusst zu werden“, formulieren die beiden Wissenschaftler.
Selbstüberschätzung durch Kompetenz vermeiden
Um einer möglichen Reflexionsfalle in der Selbsteinschätzung zu entkommen, gibt es laut Dunning und Kruger konkrete Möglichkeiten. Die beiden Forscher gehen davon aus, dass Wissenserwerb die Kompetenz steigert und damit der Ignoranz entgegen wirkt.
Ein anerkanntes Modell für die Kompetenzentwicklung haben die beiden US-Wissenschaftler Stuart und Hubert Dreyfus im Jahr 1980 veröffentlicht. Darin beschreiben sie die „mentalen Aktivitäten zum Erwerb von Fertigkeiten“ in fünf Stufen als
- AnfängeFortgeschrittener
- Kompetenter
- Versierter
- Experte
Dass im Erwerb von Wissen und damit Kompetenz aber weiterhin die Gefahr der Selbstüberschätzung liegt, formuliert David Dunning zusammen mit seiner Kollegin Carmen Sanchez im Jahr 2018. Die beiden Forscher haben eine groß angelegte Studie analysiert, die das Finanz Wissen von 25.000 jungen Amerikanern untersucht hat.
Wissen richtig einschätzen
Ihr Fazit: Einsteiger gehen mit Respekt an eine Sache heran und Halb-Anfänger neigen dazu, sich zu überschätzen und sich für Experten zu halten. Das hat tatsächlich schon der englische Dichter Alexander Pope (1688-1744) auf den Punkt gebracht: „ A little learning is a dangerous thing.“
Trotzdem hat Selbstüberschätzung laut Sozialpsychologie aber durchaus auch positive Folgen. So strahlen Menschen, die von sich überzeugt sind, eine entsprechende Kompetenz und Entschlusskraft aus. Das kann sowohl privat als auch im Beruf nützlich sein.
Dabei kommt auch das Stichwort der „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“ ins Spiel. Ist jemand von sich und seinem Tun überzeugt, legt er besonders viel Energie an den Tag, um sein Ziel zu erreichen. Selbst dann, wenn er realistisch gesehen nicht unbedingt ein Experte auf dem Gebiet ist.
Phänomen der Sozialen Medien
Hier zeigt sich ein Phänomen der Sozialen Medien, das gern als Beispiel für den Dunning-Kruger-Effekt angeführt wird:der Corona-Virus. Vor dem Ausbruch der Pandemie hatten wenige Menschen von dem Virus gehört. Inzwischen verstehen sich viele Nutzer von Sozialen Medien als Experten bezüglich des Umgangs, der Herkunft oder den Auswirkungen des Virus. Auch wenn sie von der Kompetenz her weder Medizin studiert haben, in der Politik tätig sind oder Virologen.
Dass die von Dunning und Kruger festgestellten Mechanismen von Inkompetenz und Ignoranz nicht unbedingt in jedem Land greifen, zeigt die Studie „Divergent Consequences of Success and Failure in Japan and North America“ aus dem Jahr 2001. Demnach neigen Japaner eher dazu, ihre Fähigkeiten zu unterschätzen und nutzen Misserfolge, um sich zu verbessern. Dunning und Kruger hatten für ihre Studie ausschließlich nordamerikanische Studierende befragt.
Satirischer Nobelpreis für David Dunning und Justin Kruger
Für ihre Forschungen wurden die beiden Wissenschaftler im Jahr 2000 ausgezeichnet: mit dem satirischen ig-Nobelpreis der US-Zeitschrift Annals of Improbable Research. Die Buchstaben „ig“ stehen hierbei für das Wort ignoble und sinngemäß für „unwürdig“ oder “unehrenhaft“. Bedingung für die Nominierung: Die Forschungen müssen erst zum Lachen animieren und dann fürs Nachdenken sorgen.
David Dunning hat diese Anforderung an seine Forschungen zum Thema Selbstüberschätzung, Inkompetenz und Ignoranz kurz in einem Satz zusammengefasst: „Die Fähigkeiten, die Sie benötigen, um die richtige Antwort zu geben, sind genau die Fähigkeiten, die Sie benötigen, um zu erkennen, was eine richtige Antwort ist.“
Quelle: Geo