Mit China-Deal brechen Scholz und Baerbock ihre Versprechen
Hat es so etwas überhaupt schon einmal gegeben? Ein Bundeskanzler setzt eine Entscheidung durch gegen die eigenen Minister, gegen seine beiden Koalitionspartner, gegen die eigenen Geheimdienste, gegen die Europäische Kommission, gegen den französischen Präsidenten. Und gegen das eigene Versprechen auch noch.
Olaf Scholz, der im Ukraine-Krieg permanent vor deutschen Alleingängen warnt, leistet sich nun, da es um China geht, den nächsten autoritären Staat, einen lupenreinen Alleingang. Und das, um eine 24,9-Prozent-Beteiligung einer chinesischen Staatsfirma an einem Terminal im Hamburger Hafen zu ermöglichen. Ist Scholz noch Bundeskanzler oder doch schon wieder der Bürgermeister von Hamburg?
Wessen Schaden ist es?
„Es bleibt ein Fehler.“ Sagt Ricarda Lang, die Chefin der Grünen. Es ist „völlig falsch“, sagt Katrin Göring-Eckardt, die Grüne Vizepräsidentin des Bundestags. „Eine ressortübergreifende China-Strategie ist das sicher nicht.“ Sagt Britta Hasselmann, die Fraktionschefin der Grünen. Es ist „Schadensbegrenzung“, sagt Irene Mihalic, die Parlamentsgeschäftsführerin der Grünen. „Schadensbegrenzung“, so nannte es zuerst Franziska Brandtner, die grüne Staatssekretärin des grünen Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck. Das war gestern, im Wirtschaftsausschuss, hinter geschlossenen Türen.
Wessen Schaden wird hier begrenzt: der des Bundeskanzlers, weil es einem Misstrauensvotum gleichgekommen wäre, hätten die grünen Minister Olaf Scholz die Gefolgschaft verweigert? Der Schaden der Koalition, die, wenn die Grünen nur ihren Überzeugungen gefolgt wären, zu Ende gewesen wäre? Oder der Schaden Deutschlands, wenn China 35 und nicht knapp 25 Prozent bekommen hätte, und damit gleich den Durchgriff auf die Geschäftsführung.
Scholz und Baerbock brechen Versprechen und werfen Werte über Bord
Die Grünen sind stocksauer, sie wähnen sich im Recht. Das können sie auch, denn sie haben den gemeinsam von den Ampelfraktionen beschlossenen Koalitionsvertrag auf ihrer Seite. Der sieht einen Paradigmenwechsel in der Außenpolitik vor. Einen Bruch mit Angela Merkels „Business first“, so hat es die grüne Bundesaußenministerin Annalena Baerbock genannt. Baerbock nennt jetzt China einen „Systemrivalen“. Merkel hätte das nie getan.
Jedenfalls kann von wertebasierter Außenpolitik beim China-Hafen-Deal nun nicht die Rede sein, Scholz und Baerbock werfen ihre Werte über Bord. Darauf weist jetzt reichlich gnadenlos Marcel Fratzscher hin, der Ökonom, der gewiss kein Christdemokrat ist. Wertebasierte Außenpolitik, das bedeutet, bei außen- und handelspolitischen Entscheidungen die Verfassung des Handelspartners zu berücksichtigen.
Und die ist im Fall Chinas eindeutig: China hat sich gerade, darauf weist Unions-Außenpolitiker Norbert Röttgen hin, von einem autoritären Staat zu einer Diktatur verwandelt. Der Diktator, Xi Jinping, nunmehr gegen die ursprüngliche Verfassung in seiner dritten Amtszeit, lässt seinen Vorgänger Hu Jintao, der, wie es die Verfassung vorsah, nur zwei Amtszeiten hatte, demonstrativ auf dem Parteitag der KP wegführen.
China bedroht und unterdrückt
Über Chinas Charakter kann man sich keine Illusionen mehr machen. Der Potentat Xi bedroht das demokratische Taiwan mit an den Haaren herbeigezogener Geschichtsklitterung so, wie der Potentat Wladimir Putin die demokratische Ukraine mit an den Haaren herbeigezogener Geschichtsklitterung bedrohte, bevor er sich mit seiner Soldateska mordend und vergewaltigend darüber hermachte.
China sperrt in Xiangjin Menschen in Lager, weil sie einem anderen Glauben angehören und keine Han-Chinesen sind. Es ist eine Spielart von Rassepolitik. China unterdrückt das ehemals freie Hongkong, obwohl es der Welt das Gegenteil versprochen hatte. Und China nutzt die Digitalisierung, um jeden einzelnen Menschen unter sein „Wertesystem“ zu unterwerfen.
Der liberale Bundesjustizminister tut, was seines Amtes ist – und verweist auf die deutsche Verfasstheit. China auf Abstand zu halten, also weg von „kritischer Infrastruktur“ sei eine „Frage der Unabhängigkeit“, also deutscher Souveränität.
Grundsätzlich wird auch die liberale Bildungsministerin: „Länder ohne Demokratie und Rechtsstaat sollten keine Anteile am Hamburger Hafen und anderer Infrastruktur kaufen dürfen.“ Was nicht heißt: „Decoupling“, also Isolation von China, sondern nur: sich nicht erpressbar zu machen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit im Umgang mit Diktaturen. Es war aber nicht selbstverständlich – siehe Russland.
Am Ende ließen die Grünen und die FDP im Bundeskabinett Olaf Scholz gewähren. Wissend, dass ihnen dies den Vorwurf des Machtopportunismus eintragen würde. Aber sollte die Koalition am Hamburger Hafen scheitern? Das war es ihnen am Ende nicht wert.
Grüne wollen Klartext von Scholz
Aber es ist nun auch klar: Olaf Scholz wird für diese zweite de-facto-Richtlinienentscheidung binnen allerkürzester Zeit einen Preis zahlen müssen. Es ist auch schon klar, welchen: Ricarda Lang erwartet, dass Scholz auf seiner anstehenden China-Reise „Klartext“ redet – nicht nur über die Menschenrechte, sondern auch die Systemunterschiede. Und sie verlangt, dass Annalena Baerbock die neue, härtere, weitaus weniger konzessionsbereite China-Strategie in der Regierung durchsetzen kann, an der sie gerade arbeitet.
Damit bahnt sich in der Koalition der nächste Großkonflikt an. Stellt sich Deutschland an die Seite seines wichtigsten Verbündeten USA, der China isolieren und ihm darum seine (Halbleiter-)Zukunft versperren will? Oder darf China – Weiter so – dieser überaus wichtige Handelspartner bleiben, einer, der die Tür zum Reich der Mitte für immer mehr deutsche Firmen öffnet? Die dann: Was? – dort verkaufen dürfen? Überhaupt: Wann fängt „kritische Infrastruktur“ an? Was ist mit Huawei und dessen „Angriff“ auf die deutschen Netze? Ist es ein 5-G-„Angriff“?
Das Gute an der Hamburg-China-Debatte ist, so formuliert es einer der Berliner Koalitionäre, „jetzt ein Licht ins Dunkel gestellt wird“. Das meiste lief über Jahre unter dem Radar, oder eben auf kommunaler Ebene wie in Duisburg, für die sich im um sich selbst kreisenden Berliner Kosmos kaum jemand interessiert hat. Damit ist es jetzt vorbei, Ende der Heimlichkeiten.
Dank des Hamburger Sozialdemokraten Olaf Scholz bekommt der Hamburger Hafen, was er will – und vielleicht auch braucht, um der Hafenkonkurrenz in Europa Paroli bieten zu können.