Wohnungsknappheit: Hohe Preise, knappes Angebot und steigende Zuwanderung

Wohnungsknappheit: Hohe Preise, knappes Angebot und steigende Zuwanderung

Der Mangel an Wohnraum entwickelt sich immer stärker zu einem riesigen Problem. Lange Warteschlangen bei Besichtigungen zeigen das ganze Dilemma auf. Grundlegende Reformen bleiben trotzdem unwahrscheinlich.

Über viele Jahre kannten die Immobilienpreise in Deutschland nur eine Richtung: Stetig ging es nach oben. Damit ist nun Schluss. Gestern veröffentlichte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden die aktuellen Zahlen. Die Preise für Wohnungen und Häuser sanken im ersten Quartal dieses Jahres so stark wie seit 23 Jahren nicht mehr, durchschnittlich um 6,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal.

Immobilienmarkt völlig überhitzt

Auf den ersten Blick sind das erst einmal gute Nachrichten. Der Immobilienmarkt war in den letzten Jahren völlig überhitzt. Der Präsident des ifo-Instituts, Clemens Fuest, sprach im Februar des letzten Jahres gegenüber der „tagesschau“ davon, dass die Preise für Immobilien deutlich schneller steigen als die Preise für Mieten. Da die Zinsen damals noch sehr niedrig waren, machten diese Preisentwicklungen dem Ökonomen damals keine Bauchschmerzen. „Insofern ist es gerechtfertigt, dass Häuser eben heute vielfach das 25-fache oder 30-fache der Miete kosten – und nicht mehr wie früher das 15- bis 20-fache.“

Der „Zentrale Immobilien-Ausschuss (ZIA)“ sprach im vergangenen Jahr in seinem Frühjahrsgutachten dann auch die Überhitzung des Marktes, verbunden mit der Verteuerung des Bauens, an: „Das heißt, insbesondere bei fremdvermieteten Immobilien wird es ganz ganz schwer, die Erstellungskosten über die Miete wieder reinzuholen“, schreiben die Experten. Dies sei, sollte es so bleiben, eine auf Dauer ungesunde Situation.

Nachfrage steigt – Angebot stagniert

Ein Jahr später hat sich die Situation auf dem Immobilienmarkt etwas entspannt. Die Preise sinken. Schaut man allerdings etwas genauer hin, dann sind diese Entwicklungen nicht unbedingt Nachrichten, die man bejubeln kann. Seit Juni des letzten Jahres sind die Leitzinsen durch die Europäische Zentralbank (EZB) schrittweise auf inzwischen 4 Prozent angehoben. Das schlug sich direkt auf die Bauzinsen nieder.

Viele Menschen können sich heute den Immobilienkauf nicht mehr leisten. Das Neugeschäft der Banken mit Wohnimmobilienkrediten läuft seit Monaten schlecht. Wie die im „Verband deutscher Pfandbriefbanken (vdp)“  zusammengeschlossenen Immobilienfinanzierer im Mai meldeten, fiel im ersten Quartal dieses Jahres das Neugeschäft, im Vergleich zum Vorjahresquartal, um rund die Hälfte (49,2 Prozent) geringer aus.

Diese Situation ist für den Wohnungsmarkt bedrückend. Viele Jahre wurde versäumt, ausreichend Wohnraum zu bauen. Dadurch, dass sich viele junge Familien nun den Traum vom eigenen Heim nicht mehr leisten können, ist die Nachfrage nach Wohnungen noch einmal gestiegen. Das Angebot an Wohnraum stagniert unterdessen.

Nach einer Stunde 600 Anfragen

Im April ging ein Video durch die sozialen Netzwerke und Medien, das viel über die beklemmende Situation, vor allem in den Metropolen, aussagt. Auch der „Tagesspiegel“ teilte das Video in einem Tweed.

Im Berliner Stadtteil Charlottenburg wird eine 3-Zimmer-Wohnung für einen Mietpreis von 1.074 Euro angeboten. Das Angebot war noch nicht einmal eine Stunde veröffentlicht, da gab es schon 600 Anfragen. Das Video zeigt, wie sich beim Besichtigungstermin eine rund 150 Meter lange Warteschlange bildet. Nach einer Stunde habe man dann die Besichtigung abbrechen müssen, wird der Immobilienmakler in der Boulevardzeitung „B.Z.“ zitiert. Vermutlich hätten sich noch nicht einmal alle Interessenten die Wohnung ansehen können.

„Sozialer Sprengstoff“ für den Wohnungsmarkt

Der Präsident des Sparkassen- und Giroverbands, Helmut Schleweis, sprach in einem Interview mit dem „RedaktionsNetzwerkDeutschland (RND)“ von „sozialem Sprengstoff“ für den Wohnungsmarkt. „Es fehlen Hunderttausende Wohnungen und es entstehen viel zu wenig neue, um das Problem in absehbarer Zeit zu lösen.“, erklärt der Schleweis. „Große Projektentwickler rechnen vor, dass sie zum aktuellen Mietniveau keine neuen Wohnungen bauen können – auch, weil Bauvorschriften die Kosten hochtreiben. Der Druck auf dem Mietmarkt bleibt sowieso.“

Das Problem der Wohnungsknappheit ist nicht neu. Die Situation spitzt sich aber immer mehr zu, ohne das eine Lösung in Sicht ist. In einem Positionspapier des Branchenverbandes ZIA, fehlen derzeit etwa 400.000 und im Jahr 2025 sogar 700.000 Wohnungen. Eine Studie  der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (ARGE) ging sogar von einem „Wohnungsdefizit“ von knapp 700.000 Einheiten schon Ende 2022 aus.

Solche Zahlen muss man mit aller Vorsicht interpretieren. Trotz der angespannten Situation spricht die ARGE-Studie auf der anderen Seite auch von Leerständen von 400.000 Wohnungen im letzten Jahr. Das sollte aber nicht beruhigen, da die Studie auch schreibt, dass diese Zahl kontinuierlich abnehme und sich vor allem auf den Osten Deutschlands konzentriere. Außerdem sei mancher leerstehende Wohnraum sanierungsbedürftig.

Druck erhöht sich durch Zuwanderung

Der Druck auf dem Wohnungsmarkt wächst seit einiger Zeit durch Zuwanderung. Laut dem Statistischen Bundesamt (Destatis) stieg die Bevölkerung in Deutschland im letzten Jahr um 1,1 Millionen Menschen auf 84,3 Millionen. Neben den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine sind es auch Menschen anderen Nationalitäten, die im letzten Jahr nach Deutschland kamen.

Auf der einen Seite noch einmal erhöhte Nachfrage nach Wohnraum durch geflüchtete Menschen – auf der anderen Seite schwächelt der Neubau. Laut Destatis waren es im vergangenen Jahr 295.000 Einheiten mehr gebaut worden. Das sind zwar 1.900 Wohnungen mehr als noch 2021, ausreichend ist das nicht. Zum Vergleich: 2020 waren es noch 306.400 Wohnungen. Die Ampelkoalition hängt ihrem Ziel weit hinter. Im Koalitionsvertrag kündigten SPD, Grüne und FDP an, jährlich 400.000 Wohnungen bauen zu wollen, wovon 100.000 Einheiten Sozialwohnungen sein sollten.

Der deutsche Wohnungsmarkt steht vor großen Herausforderungen, wie aus einem Bericht des Münchner Ifo-Instituts hervorgeht. Laut dem Bericht wird in den kommenden Jahren mit weiteren Rückgängen bei der Wohnungsneubauaktivität gerechnet. Im Jahr 2025 wird nur noch mit rund 200.000 neuen Wohnungen gerechnet. Im Vergleich dazu wurden in den ersten vier Monaten dieses Jahres 27 Prozent weniger Baugenehmigungen für Wohnungen erteilt als im Vorjahresquartal, berichtet das Statistische Bundesamt (Destatis).

Politik greift in den Markt ein

Im Idealfall würde der Marktmechanismus dazu führen, dass die Mieten angesichts dieser Situation steigen, bis Angebot und Nachfrage wieder annähernd ausgeglichen sind. Für Wohnungsanbieter wäre es dann attraktiver, neue Wohnungen zu bauen, während Mieter ihre Nachfrage anpassen könnten, beispielsweise indem sie kleinere Wohnungen in weniger attraktiven Gegenden oder in umliegenden Städten mit Leerstand suchen.

Auf dem Wohnungsmarkt funktioniert dieser Mechanismus jedoch nur eingeschränkt, weil die Politik den Markt aus sozialpolitischen Gründen umfangreich reguliert. Zum einen gibt es verschiedene Förderprogramme wie den sozialen Wohnungsbau. Darüber hinaus wurde 2015 die Mietpreisbremse als temporäres Instrument eingeführt. Sie besagt im Wesentlichen, dass bei der Neuvermietung bestehender Wohnungen in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt die Miete höchstens 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf.

Mietpreisbremse verzerrt und begrenzt Angebot

Politische Eingriffe haben tiefe Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt. Maßnahmen wie die Mietpreisbremse und Förderprogramme für sozialen Wohnungsbau halten einerseits die Mieten für Bestandsmieter stabil, schaffen jedoch Verzerrungen und begrenzen das Angebot. Die große Kluft zwischen Alt- und Neuvertragsmieten erschwert den Wechsel in kleinere Wohnungen und verstärkt die Knappheit.

Ökonomen befürworten eine Subjektförderung, um Menschen zu unterstützen, die sich keine Wohnung zum Marktpreis leisten können. Trotzdem werden grundlegende Reformen unwahrscheinlich sein, da die Verlängerung der Mietpreisbremse bis 2029 im Koalitionsvertrag verankert ist. Eine Senkung der Grunderwerbssteuer und vereinfachte Bauordnungen werden diskutiert, doch ihre langfristige Wirksamkeit ist fraglich. Die strukturellen Herausforderungen des Wohnungsmarkts bleiben bestehen, lange Warteschlangen inbegriffen.

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